Privater Kunstblog zum Thema:

Künstlerisches Handeln in Zeiten globaler Umbrüche


Die Welt von heute scheint aus den Fugen geraten. Sie ist durch große Unsicherheit, Unübersichtlichkeit und Fragilität, Krieg und Flucht, Terror und Gewalt geprägt. Damit ist die Entwicklung unserer zukünftigen Lebenswelten wieder zu einem bedeutsamen Schwerpunkt in der Kunst geworden. Auch die Erkenntnisse und Prognosen der Techniksoziologie und der Zukunftsphilosophie werden zunehmend als Gegenstand der Kunst entdeckt. Die bildende Kunst, das Theater, die Literatur und der Film reagieren darauf auf unterschiedliche Art und Weise. Mich beschäftigt die Frage, wie kann sich der Künstler, der ja Teil dieser Entwicklungen ist, den sich daraus ergebenden existentiellen Herausforderungen sinnvoll nähern? In diesem Zusammenhang möchte ich meine Bilder aus der Zeit um 5 nach 12 in lockerer Folge vorstellen. Texte zu den globalen Auswirkungen des westlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems ergänzen diese bildlichen Darstellungen. Über Reaktionen von Künstlern, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen, würde ich mich freuen.


Sonntag, 2. März 2025

Gen Z liebt Kafka!

 Zeitbild | Nr.12


Wer wüsste schon , wie er sich verhalten müsste, wenn er morgens, wie Kafkas Gregor Samsa in der Erzählung Die Verwandlung  plötzlich in Gestalt eines Käfers aufwacht?
Digitale Collage auf Basis von Eigenproduktionen (Malerei und Fotografie).


Gen Z liebt Kafka!


Wer wüsste schon, wie er sich verhalten müsste, wenn er morgens, wie Kafkas Gregor Samsa in der Erzählung Die Verwandlung plötzlich in Gestalt eines Käfers aufwacht?

Nicht ohne Grund ist diese Erzählung besonders bei jungen Menschen beliebt. Mit der Figur des Gregor Samsa können sich viele identifizieren. Ihre plötzliche unerwartete Hilflosigkeit und Verlorenheit in der Welt spiegelt die Gefühlslage und Lebenssituation von sehr vielen Menschen der jungen Generation wider.


Von Käfern, Mäusen und Affen


Kafkas Werke handeln, von Verwandlungen, von Monstern der Bürokratie, von Abhängigkeiten und dem Kampf mit Autoritäten. Am Ende ist meist nicht ganz klar, wer oder was zu diesen verhängnisvollen Entwicklungen geführt hat. Kafka schildert eine unübersichtliche Welt, in der jeder Mensch letztlich auf seine ganz eigene Art verloren ist.

In der heutigen Welt multipler Krisen trifft Kafkas Werk einen Lebensnerv der Gen Z. Die berühmte Gen Z – geboren von etwa 1995 bis 2010 – wächst im Krisenmodus auf: Corona-Pandemie, Krieg, Klimawandel – vielschichtige Bedrohungen, die verständlicherweise ein Gefühl des Unwohlseins und des Ausgeliefertseins bis hin zur Hilflosigkeit hervorrufen. Wie soll man als Individuum mit diesen globalen Krisen umgehen oder nach Lösungsmöglichkeiten suchen?


Kafka und multiple Krisen der Gegenwart


Gerade die Steuerungsmaßnahmen gegen die Ausbreitung der Corona-Pandemie führten zu einer Isolation in den Kinder- und Jugendzimmern. Tausende von Erstsemestern erlebten ihren Studiumsstart vor Monitoren und sahen ihre Universität für lange Zeit nie von innen. So erlebte die Gen Z eine zunehmende Entfremdung von ihrer Umwelt.  

Kafkas Werk zieht junge Menschen heute in seinen Bann, weil es zentrale Fragen des menschlichen Seins behandelt. Kafka behandelt zeitlose, universelle Themen: Die Suche nach dem Sinn der Existenz, der Kampf mit Autoritäten, die Absurdität des Alltags und der Wunsch nach Zugehörigkeit innerhalb der Gesellschaft. All das sind für junge Menschen prägende Fragen, die gegenwärtig auch die Gen Z umtreibt.

Der Jurist und Versicherungsangestellte Kafka wird zum Star auf Social Media


In dieser sozialen Entwicklungssituation hat die Gen Z in Verbindung mit dem 100 Jahre-Rummel um Kafka, den einst als eher sperrig geltenden Literaten, neu für sich entdeckt. Seine Reflexionen über die Absurdität des Seins verarbeitet sie in den Medien, die ihr seit frühester Jugend vertraut sind: Dem Internet und den sozialen Netzwerken. Dort sammeln sie Meinungen und Informationen und teilen ihre Gefühle. Sie verbinden Offline-Erfahrungen nahtlos mit der virtuellen Welt.

Sehr häufig kommen die Reels und Posts mit Kafka-Zitaten naiv, oberflächlich und klick orientiert daher. Darunter finden sich aber auch tausende Kommentare, die zum Nachdenken anregen. In Kafkas Weltsicht  erkennen viele ihre eigene wieder, fühlen sich verstanden und vor allem einer sinnhaften Community zugehörig.

Das erklärt, warum der Jurist und Versicherungsangestellte Kafka auf einmal zum TikTok-Star avancierte. Unter dem Hashtag #Kafka gab es über 137 Millionen Aufrufe.

Das Kafka-Jahr ist jetzt zwar vorbei, doch Kafka selbst bleibt im Gespräch. Junge Menschen haben Franz Kafka, einen Autor, der seit 100 Jahren tot ist, auf Social Media für sich entdeckt. Gen Z liebt Kafka!  


Kafkaesk


Allerdings ist digitale Welt von Social Media selbst zu einem unübersichtlichen bedrohlichen Ort voller Widersprüche, Desinformation und dirty tricks geworden. Die Anfangseuphorie des world wide web als Ort der respektvollen, verantwortungsvollen demokratischen freien Diskussion in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft ist längst unter die Räder gekommen. Kafka würde mit der literarischen Verarbeitung dieser Absurditäten und unkontrollierten Auswüchsen der digitalen Welt weitere hundert Jahre beschäftigt sein. Das wäre dann kafkaesk.

Sonntag, 16. Februar 2025

Schönen Gruß von Christo!


ZeitBild | Nr. 11



Kreativer Protest: Schwarzer Stoff verhüllt die Fassade des Hauptgebäudes der Berliner Universität der Künste.  



In kreativer Anlehnung an die spektakulären Verhüllungsprojekte von Christo haben Studierende der Universität der Künste Berlin (UdK) am 11.02.2025 die Fassade des Hauptgebäudes mit einer großen schwarzen Stoffbahn verdeckt.

Die Sparmaßnahmen des Berliner Senats treffen auch die Hochschulen hart. Manche Unis haben kaum Rücklagen und Studierende an der UdK befürchten eine deutliche Verschlechterung der Lehre und sorgen sich um die Zukunft ihrer künstlerischen Ausbildung.  

Mit der Verhüllung der Fassade gehen Studierende in den Protestmodus gegen die geplanten Sparmaßnahmen der Politik.  

Wir zeigen, wie eine Stadt ohne Kunst, Kultur und Wissenschaft aussieht, welches Loch dieses Fehlen in die Mitte unserer Gesellschaft reißt.“ ( 1)


(1) Quelle: Studierendeninitiative Bildung braucht Budget 

Weiterführende Links:

Mitteilung der Studierendeninitiative Bildung braucht Budget der UdK zur Verhüllung der Fassade

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Samstag, 1. Februar 2025

Versuchung – Bilder einer Ausstellung / Teil 3


 

Im dritten und damit letzten Teil der Serie stelle ich euch die restlichen Werke vor.


Versuchung / Text von Dr. Peter Scholz  


Foto: Peter Scholz


Wir Menschen lieben die Farben und die Düfte der Blüten. Aber auch Insekten fliegen förmlich hierauf. Das ist geschickt eingefädelt, denn die meisten Pflanzen brauchen für ihre Vermehrung fleißige Bestäuber. Angelockt durch die Farben und die Düfte, krabbeln Bienen und Hummeln zum verführerischen Nektar in die Blüten, wobei Blütenstaub in ihrem feinen Pelz hängen bleibt. An der nächsten Blüte streifen sie diesen dort wieder ab. So haben beide Seiten etwas von der farbigen und duftenden Versuchung: die Pflanzen werden befruchtet und die Bienen bekommen Pollen als Nahrung und Energie für den Flug… Das ist eine „Versuchung“ zur Koexistenz, die als Vorbild für ein friedliches, ökologisches und ausgewogenes Miteinander auf dieser Erde dienen kann.


HafenVersuchungen / Text von Thomas Wiersberg


Ansicht vom Hamburger Hafen / Foto: Thomas Wiersberg


Im Hafen kumuliert das Versprechen der Großstadt nach dem kleinem oder großen Glück in der Form von unterschiedlichen Versuchungen. Ob die Versuchungen Erfüllung finden, die Versprechen je eingelöst wird, bleibt offen. Kann man es treffender formulieren als Michael Holm es im Jahre 1974 gelang?


Die große Stadt lockt mir ihrem Glanz,

Mit schönen Frauen, mit Musik und Tanz.

Doch der Schein hält nie, was er dir verspricht,

Kehr endlich um, Tränen lügen nicht.


Versuchs doch! Text von Olaf Kaminski


Clemence / Foto: Olaf Kaminski


Clemence hat ein schlechtes Gewissen. „Das kommt davon wenn man der Versuchung nachgibt.“ Doch Clemence entscheidet sich für die Flucht nach vorn und dreht den Spieß einfach 'rum. Keine Gewissensbisse und bloß nicht das fatale Schicksal einer Wassermelone erleben. Ab heute heißt es für ihn erst recht: „ Zerstöre deinen Ruf! Sei berüchtigt! Versuchs doch!“ Ich habe mich erinnert an die schöne Geschichte von Mark Twain, in der er als Junge den von ihm begangenen Diebstahl einer Wassermelone bedauert jedoch als er feststellt, dass diese ungenießbar ist, den Verkäufer in Bedrängnis bringt, und sich selbst als Vertreter der Aufrichtigkeit und des Anstands in der Gesellschaft empfiehlt. …. Honit soit qui mal y pense...  


Projekt Prometheus / Text von Fred Tille

Replikant: Ein Replikant ist ein fiktiver, biotechnisch entwickelter Android im Film Blade Runner von 1982 und in seiner Fortsetzung Blade Runner 2049 von 2017. Foto: Fred Tille


"Es gibt viele Dinge, die wir gerne tun würden, aber nicht tun können, weil sie illegal sind. (...) Wir sollten nur ein paar Orte haben, an denen wir in Sicherheit sind. So können wir neue Dinge ausprobieren und herausfinden, welche Auswirkungen sie auf die Gesellschaft haben." (1)

"Der endgültig entfesselte Prometheus, dem die Wissenschaft nie bekannte Kräfte und die Wirtschaft den rastlosen Antrieb gibt, ruft nach einer Ethik, die durch freiwillige Zügel seine Macht davor zurückhält, dem Menschen zum Unheil zu werden." (2)

Drei Portraits: Eines Cyborgs, eines Replikanten und eines Roboters (humanoid) vor dem Hintergrund dystopischer Welten. Die digitalen Collagen sind auf der Basis von Ausschnitten meiner Bilder entstanden.

(1) Larry Page, Mitbegründer von Google

(2) Hans Jonas, Philosoph


Copyright für Texte, Werkabbildungen, Fotos bei den Künstlern.





Sonntag, 5. Januar 2025

Versuchung – Bilder einer Ausstellung / Teil 2

 

Flyer Ansicht mit einer Auswahl der ausgestellten Werke

Wie ich in meinem letzten Post angekündigt habe, stelle ich euch diesmal beispielhaft einige künstlerische Positionen  zum Thema Versuchung vor. Die restlichen Werke stelle ich dann zum Abschluss der Serie  im nächsten Post vor.


Nimm das Goldene / Text von Ellen Ernst


Foto: Ellen Ernst


Down Town. Die Stadt lockt bei Tag und bei Nacht. Wer will ihr widerstehen mit den strahlenden Schaufenstern und glitzernden Fassaden? Folge dem faszinierenden Rausch des Urbanen zu den Konsumtempeln und tauche ein in unzählige Lichter, die am Abend die Straßen, Restaurants und Clubs erhellen. Wer will schlafen, solange die Stadt noch wach ist?

Das Großstadtleben ist in den letzten Jahren zu meinem Hauptthema geworden. Als Malerin geht es mir vor allem um Licht und Bewegung, mich fasziniert das Urbane, die Beschleunigung, die Lichter der Stadt und die Spiegelungen, aber ich sehe auch die Gehetztheit vieler Menschen, die sich im Rhythmus der Stadt, nicht in ihrem eigenen, bewegen.


Tulpenmanie / Text von Helga Lehner


Foto: Helga Lehner


Ich liebe die Farben und Formen der Tulpe, ihre Schönheit und ihre wilden Verformungen in Gestalt und Farbe, wenn sie allmählich verblüht.

Die Geschichte der Tulpe ist verknüpft mit Holland, als unangefochtenes Wahrzeichen, bis heute.
Die ersten Blumenstillleben wurden in den Niederlanden von Künstlern des 17. Jahrhunderts gemalt.

Die Leidenschaft für die prachtvollen Tulpen war in der Bevölkerung damals so groß, dass von einer „Tulpenmanie“ im 16. Jahrhundert berichtet wurde, die im Jahr 1637 zum Zusammenbruch der Tulpenbörse geführt hat. Den Blumenhändlern wurde in Flugblättern vorgeworfen, sie hätten Tulpen zu ihrem Götzen gemacht und durch unlauteren Handel nach Geld gestrebt und sie hätten die soziale Ordnung gefährdet.

Ich habe versucht in mit der Kamera neben der äußeren Form auch die zarten Strukturen im Inneren der Blüten zu erfassen. Diese inneren Strukturen bilden bei allem die Basis für die Vollkommenheit der äußeren Gestalt.


Versuchung / Text von Dietmar Steinkamp


Foto: Fred Tille / Copyright: Dietmar Steinkamp


Was für ein unbequemes Thema. Meiner Versuchung möchte ich eigentlich nicht begegnen. Denn was mich versucht, ist, was ich vermeiden will. Womit ich abgeschlossen habe. Oder was ich mir ganz sicher bin, nicht zu denken, zu fühlen und schon gar nicht zu tun. Bilder meiner persönlichen Versuchung würden mich nackter als nackt dastehen lassen, wenn es sie denn gibt, meine ganz eigene Versuchung. Es bedürfte sicherlich eines Therapeuten, diesen Zustand zuverlässig zu erreichen.

Als zufriedener, glücklicher Mensch halte ich mir meine letzten Versuchungen wohl immer auf Armlänge entfernt. Und gestehe mir meine kleinen Sünden zu, verstecke sie in Bildern.


Versuchung / Werk von Detlef Denzer

Eine Texterläuterung lag mir bei Redaktionsschluss leider nicht vor. Das Dargestellte spricht sicherlich für sich selbst.

Foto: Detlef Denzer


Copyright für Texte, Werkabbildungen, Fotos bei den Künstlern.