ZeitBild | Nr. 4
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Es lebe das Kino!
ZeitBild | Nr. 4
Osterode im Harz am 16.09.2018. Das Bild zeigt die Überreste des einstigen Osteroder Lichtspielhauses. Oben links ist noch sehr gut die schwarze Wand mit den Öffnungen für die Filmprojektoren zu erkennen. Am rechten unteren Bildrand das melancholische Graffiti „Wir wollen Kino.“
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Das Kino ist tot, es lebe das Kino
Rechtzeitig zum Start der 70. Berlinale
wird der Film Das Kino ist tot, es lebe das Kino von Thomas Schadt vorgestellt. Der
Regisseur begleitete im Februar 2019 Dieter Kosslick bei seinem
letzten Auftritt als Leiter des beliebtesten und größten
Filmfestivals Deutschlands. Es lebe das Kino, ein Aufruf, der kurz
vor der Berlinale auf offene Ohren stößt.
Im letzten Jahr
verzeichnete das Festival knapp 500 000 Kinobesuche. Eine Stadt im
Filmfieber lässt vergessen, dass Kinos verschwinden - nicht nur in
kleinen Städten der Provinz wie das Beispiel des Osteroder
Lichtspielhauses zeigt. Auch mitten in Berlin, am Kurfürstendamm, sind von den einstmals 22 Kinos nur zwei, das Cinema Paris und die
luxuriös umgebaute Astor Film Lounge übrig geblieben.
Flagship-Store von Apple statt
Filmbühne Wien
Kapitalstarke Unternehmen ziehen in die
einstigen Kinostandorte ein. So werden jetzt im ehemals renommierten
Ku´damm- Kino Filmbühne Wien hochpreisige Produkte im
Flagship-Store von Apple verkauft. Horrend gestiegene Miet- und
Immobilienpreise lassen es kaum mehr zu, dass Kinos in attraktiven
Lagen überleben.
Opfer dieser Verdrängung wurde auch das bundesweit
einmalige Multikplexkino CineStar im Sony Center am Potsdamer Platz.
Denn das Kino hatte nicht nur als besondere Attraktion das Imax-Kino
mit seiner XXL-Leinwand im Obergeschoss. Sein Alleinstellungsmerkmal
war, dass in allen seinen acht Sälen Filme ausschließlich in der
englischsprachigen Originalversion liefen. Es war auch ein
Superangebot für die vielen Touristen und fremdsprachigen Bürger
der Stadt.
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Hier ist das CineStar-Kino noch ein
fester Bestandteil des Sony-Centers. Doch zum 31. Dezember 2019
gingen hier die Lichter aus.
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2400 Kinoplätze waren auf einen
Schlag weg
Zum 31. Dezember 2019 waren auf einen
Schlag nicht nur 2400 Kinoplätze weg, sondern auch die zentrale
Spielstätte für die 70. Berlinale im Februar 2020. Nun weicht das
Festival stattdessen in das Cubix am Alexanderplatz aus, ebenfalls
ein CineStar-Haus, das bislang zwei Säle für das Filmfest
reservierte. Das Cubix wird jetzt komplett zur Festivalstätte.
Ein
weiterer Umstand erschwert das Festival: Der sonst so quirlige
Potsdamer Platz sieht in diesem Jahr ziemlich öde aus. Die Potsdamer
Platz Arkaden sind wegen Umbaus fast leer. Der Ticketcounter und der
Merchandisingstand der Berlinale sind nach wie vor dort. Wenigstens
etwas. Ansonsten findet die Berlinale in einer geisterstadtähnlichen
Umgebung statt. Mehr Infos zum Potsdamer Platz findet ihr in meinem
Post Berlin - Metropolis | Zwei Stadtvisionen im Modell.
Filmkonsum in Zeiten von Streaming |
Viele offene Fragen zur Zukunft des Kinos
Wie soll das Kino im Konkurrenzreigen
der anderen Bildmedien grundsätzlich reagieren?
So fragt sich Joe Russo, Regisseur
von Avengers: Endgame, wie man angesichts der vielen
Möglichkeiten, audiovisuelle Inhalte sehen zu können, Menschen dazu
bringen kann, das Heim zu verlassen. Über die gängigen vier bis
fünf Kinobesuche pro Jahr dürfte es kaum hinausgehen
Wie dem auch sei, die Abwanderung zu
den Streaming-Angeboten wird zunehmen. Nach den mehr als 150
Millionen Nutzern von Netflix und mehreren kleinen Anbietern kommen
jetzt die echten Schwergewichte mit ihren Angeboten auf den
Streaming-Markt. Neben Warner, HBO Max und Apple+ steigt 2020 mit
Disney der größte Filmkonzern der Welt auch in Europa in die
sogenannten Streaming Wars ein.
Netflix zum Beispiel ließ
Martin Scorsese sein Gangster-Epos The Irishman für die
marktüblichen 150 Millionen Dollar produzieren. Scorsese hat das
Publikum übrigens ausdrücklich gebeten, seinen Film nicht auf dem
kleinen Handy zu sehen, sondern wenigstens ein Tablet dafür zu
benutzen. So weit ist es schon gekommen.
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Blick in das Sony Center |
Wo liegt der Mehrwert eines Kinobesuchs
z.B. auch und besonders für ein junges, netzaffines Publikum?
Downloads und Streaming Dienste
beweisen wie groß das Interesse an Filmen gerade bei dieser
Altersgruppe ist. Man darf auch nicht vergessen, dass Kino immer
teurer wird. Für Karte, Popcorn, Parkhaus sind mal eben 50 Euro
schnell weg, wenn man mit der Familie unterwegs ist. Eine
grundsätzliche Neuausrichtung des Kinoerlebnisses hin zu mehr
Individualisierung und Spezifizierung ist deshalb eine Perspektive,
um das Kino in eine neue Zukunft zu führen.
Was kommt auf die Kinobetreiber
zu?
Die
derzeitige Situation ist auch im internationalen Rahmen für
Kinobetreiber komplex und vielschichtig. Die Kinobetreiber
sind mit der Notwendigkeit zu Neuinvestitionen konfrontiert, die die
Digitalisierung mit sich bringt. Im Unterschied zur alten
Vorführtechnik, wo ein Projektor viele Jahrzehnte lief, muss die
Technik jetzt alle fünf Jahre auf den neusten Stand gebracht werden.
Ausgaben im fünfstelligen Bereich pro Gerät zieht dies nach sich.
Das Überangebot an
Filmen, ist für Kinobetreiber kaum zu bewältigen. Jährlich
konkurrieren 600 Erstaufführungsfilme, davon 240 neue deutsche
Filme, um einen Kinostart. Dies erzeugt Unübersichtlichkeit und viel
zu kurze Auswertungszeiten.
Ob das Kino zukünftig überhaupt noch
der wichtigste Wahrnehmungsraum für Film sein wird, könnte dabei
die übergeordnete Frage sein.
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So sah es 2016 zur Berlinale am
Potsdamer Platz aus. Der Traum der Filmschaffenden: Einmal auf dem
roten Teppich zusammen mit dem Festivaldirektor.
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Zum Abschluss möchte ich Carlo
Chatrian zitieren, der zusammen mit Mariette Rissenbeek die neue
Berlinaleleitung bildet.
Man hat das Kino immer wieder für
tot erklärt. Und doch lebt es nach wie vor. Weil da immer diese
Notwendigkeit ist, einen Blick in die Welt zu haben. Und mit
Geschichten berührt zu werden, die fern von unseren eigenen sind.
Das Kino wird immer eine Kunstform für das große Publikum sein. (1)
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Quelle: Berliner Morgenpost v. 09.02.2020
Sämtliche Fotos: Fred Tille