Privater Kunstblog zum Thema:

Künstlerisches Handeln in Zeiten globaler Umbrüche


Die Welt von heute scheint aus den Fugen geraten. Sie ist durch große Unsicherheit, Unübersichtlichkeit und Fragilität, Krieg und Flucht, Terror und Gewalt geprägt. Damit ist die Entwicklung unserer zukünftigen Lebenswelten wieder zu einem bedeutsamen Schwerpunkt in der Kunst geworden. Auch die Erkenntnisse und Prognosen der Techniksoziologie und der Zukunftsphilosophie werden zunehmend als Gegenstand der Kunst entdeckt. Die bildende Kunst, das Theater, die Literatur und der Film reagieren darauf auf unterschiedliche Art und Weise. Mich beschäftigt die Frage, wie kann sich der Künstler, der ja Teil dieser Entwicklungen ist, den sich daraus ergebenden existentiellen Herausforderungen sinnvoll nähern? In diesem Zusammenhang möchte ich meine Bilder aus der Zeit um 5 nach 12 in lockerer Folge vorstellen. Texte zu den globalen Auswirkungen des westlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems ergänzen diese bildlichen Darstellungen. Über Reaktionen von Künstlern, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen, würde ich mich freuen.


Dienstag, 31. März 2015

Berlin - Metropolis | Zwei Stadtvisionen im Modell

Fritz Langs Film Metropolis ist der ultimative Großstadtfilm und ein Meilenstein der Filmgeschichte.
Im Mittelpunkt steht eine utopische Stadt – Metropolis –, in der Kapitalisten und Proletarier scharf voneinander getrennte Klassen bilden. Während die Privilegierten sich die Zeit in Gärten und Amüsiervierteln vertreiben, schuften die Arbeiter unter der Erdoberfläche bis zur Erschöpfung an Maschinen, die für das Funktionieren der Versorgungssysteme der gigantischen Stadt Metropolis notwendig sind. Düstere Katakomben und ewige Gärten.
Fritz Lang hat ein Werk mit Wiedererkennungswert geschaffen, das verschiedene Seiten des kulturellen Gedächtnisses der Menschheit berührte. Seine Visualisierungen der "Stadt der Zukunft" sind in der Welt des Kinos stilbildend geworden.
Der visionäre Film stellt Fragen zu den Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens, zu Segen und Fluch technologischer Entwicklungen.

Es ist aber auch der Film, der mehr als jeder andere von den Erfahrungen der noch jungen Großstadt Berlin in den zwanziger Jahren lebt. Die Entstehungsgeschichte und Rezeption des Films ist aufs Engste mit Berlin verbunden, und Metropolis wirkt bis heute in die Filmstadt Berlin hinein. In der neuen Serie Berlin-Metropolis werde ich dieses besondere Verhältnis aufgreifen und Spuren von Metropolis im heutigen Berlin versuchen aufzufinden. Darüberhinaus möchte ich die künstlerischen Spiegelbilder der Metropole Berlin von den damaligen nicht nur goldenen 20er Jahren bis zur Gegenwart reflektieren. Nicht zuletzt haben mich u.a. die technologiekritischen und zukunftsphilosophischen Implikationen von Metropolis zu dem Titel meines KunstBlogs MetropolisBlues inspiriert.



Die Vision von Metropolis und das Berliner Hochhausfieber

Der Film besticht unter anderem durch seine grandiose Architektur. So ragen in der futuristischen Stadt Metropolis gewaltige Glastürme kühn in den Himmel, Luftschiffe durchfliegen die Schluchten der Stadt, endlose Schlangen von Autos ziehen über schwebende Brückenbauten dahin. Metropolis ist eine aus ineinander verschachtelten Hochhäusern bestehende Stadt, deren Architektur an damals in New York existierende Wolkenkratzer erinnert.
„Denn die Leidenschaft, mit der sich Fritz Lang und seine Filmarchitekten an die Konstruktion einer modernen Hochhausstadt machten, kam nicht von ungefähr. 1921 hatte in Berlin ein Wettbewerb für die Bebauung des Geländes nördlich des Bahnhofs Friedrichstraße stattgefunden. Alles, was in der zeitgenössischen Architekturszene Rang und Namen besaß, von Hans Poelzig über Hans Scharoun bis Mies van der Rohe, hatte sich beteiligt: Über 140 Einsendungen verzeichnet die „Turmhaus Aktiengesellschaft“, die den Wettbewerb ausgelobt hatte. Ganz Berlin diskutierte über die Entwürfe, Zeitgenossen sprachen 1921 von einem regelrechten <Hochhausfieber>.“ (Quelle: Der Tagesspiegel, 31.03.2004).
Auch der architekturbegeisterte Fritz Lang wird sicherlich diese Diskussionen verfolgt haben, denn viele Details in den Metropolis-Vorzeichnungen zum Film erinnern an die Entwürfe des damaligen Architekturwettbewerbs vor allem auch an das Hochhaus von Mies van der Rohe. Den eigentlichen Anstoß für die Stadtvision Metropolis jedoch gab ein Besuch des Regisseurs in New York.
Zu den Inspirationsquellen seines Filmprojekts befragt, erinnerte sich Lang: „Ich sah eine Straße, durch Neonlampen taghell beleuchtet, und, alles überragend, ständig wechselnde, an- und ausgehende, spiralförmige, riesige Leuchtreklamen. Für einen Europäer war das damals völlig neu und märchenhaft. Dieser Eindruck gab mir die erste Ahnung von einer Stadt der Zukunft.“ Die Vision von Metropolis war geboren. Sie ist bis heute gültig, in fast jedem Science-Fiction-Film: überall erkennt man die Hochhausstadt Metropolis wieder. Das kommt daher, weil bei Lang Bauten und Maschinen mehr als nur Kulisse sind, sie sind mit charakterähnlichen Eigenschaften versehene Bedeutungsträger.  

Metropolis war nicht nur ein Meilenstein der Filmgeschichte, sondern auch ein Meilenstein der Special-Effects-Geschichte . In Zeiten digitaler Tricks kommt das Handwerk des Modellbaus in der heutigen Zeit immer seltener bei der Filmproduktion zur Anwendung. Die Hochhausbauten von Gotham City einer aktuellen amerikanischen TV-Serie, in der der Zuschauer in eine faszinierend düstere Welt eintaucht, gibt es jedoch noch die selten angewendete , quasi analoge Modellbautechnik. Die legendäre Vision von Metropolis ist bis heute in fast jedem Science-Fiction-Film gültig. Seien es die fliegenden Taxis, die Luc Besson in „The Fifth Element“ oder die finstere Stadtvision von „Blade Runner.“ Als filmisches Zitat erkennt man überall die Hochhausstadt Metropolis wieder.
Quelle: Wikipedia/Foto:vagueonthehow - CC BY 2.0


Zwei Stadtvisionen im Modell


„Also sprach Lang:´Lasset uns einen Turm der Technik bauen, dessen Spitze bis an die Sterne reiche, an die Spitze aber wollen wir setzen: Groß ist der Film (...) und groß sind die Menschen, die ihn gebaut und gedreht haben!“ (Quelle: „Licht-Bild-Bühne“ anläßlich der Filmpremiere 1927).
Bevor der erste Filmmeter belichtet war, ließ Fritz Lang Metropolis als tischhohe Miniaturstadt bauen. Aus urheberrechtlichen Gründen kann ich die Aufnahmen, die das Miniaturmodell der Stadt mit dem Turm von Babel zeigt, leider nur über einen Link darstellen. Die Originalzeichnungen können im Filmmuseum Berlin, Deutsche Kinemathek, betrachtet werden. An der Aufnahme ist sehr gut zu sehen, wie erfolgreich und detailgetreu die Entwürfe umgesetzt worden sind. Einer der Filmarchitekten, Erich Kettelhut, beschrieb diese filmvorbereitenden Arbeiten folgendermaßen:
„Im kleinen Glashaus wuchs indessen das Modell der Hauptstraße von Metropolis seiner Vollendung entgegen. Die Modellbauer bastelten an den Drahtseilen, die außerhalb des Bildes in der gleichen fallenden Schräge gespannt werden mußten, wie sie kleine Modellflugzeuge für ihre perspektivischen Flugrouten brauchten.“ Und der Chefarchitekt Otto Hunte führt weiter aus: „Die meiste Zeit und Mühe hat die Anlage der Hauptverkehrsstrasse von ´Metropolis` gekostet, an deren Ende sich der neue Turm zu Babel erhebt, der 500 Meter hoch gedacht war. Ich mußte ein Miniaturmodell verwenden und den Riesenverkehr, der sich auf dieser Straße abspielt, tricktechnisch darstellen(...) Sechs Wochen fast hat diese Arbeit gedauert, und ihr Resultat flitzt in zweimal sechs Sekunden vor den Augen des Zuschauers vorbei.“


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Metropolis war deutscher Filmtrick auf dem Höhepunkt. Entwurf und Gestaltung der Bauten für die utopische Filmstadt erfolgte durch die Filmarchitekten Otto Hunte, Erich Kettelhut, Karl Vollbrecht und Walter Schultze-Mittendorf.

Modellansicht mit Renzo Piano Tower (links) und Kollhoff-Tower (rechts). Architekturmodelle sind maßstäbliche, räumliche Anschauungsmodelle, um geplante Gebäude anschaulich und repräsentativ darzustellen. Durch den Bau derartiger Modelle lässt sich bereits vor der endgültigen Ausführung von Gebäuden ihre äußere Wirkung vor allem im Bezug auf bereits in der Umgebung vorhandene Bebauung erkennen.

Metropolis ist aber auch der Film, der nicht nur durch grandiose Modell- und Tricktechnik glänzt, sondern der mehr als jeder andere von den Erfahrungen der noch jungen Großstadt Berlin in den zwanziger Jahren lebt. Und weil Miniaturmodelle aber nicht nur im Film, sondern auch in der Architektur zum Einsatz kommen, möchte ich an dieser Stelle dem Film ein zweites Miniaturmodell mit einer echten Hochhauskulisse von ähnlich prägender Bedeutung gegenüberstellen; die Modellansicht vom Potsdamer Platz in Berlin. Der italienische Architekt Renzo Piano, der durch Gebäude wie das Centre Pompidou in Paris oder das New York Times Building Architekturgeschichte schrieb, entwickelte den Masterplan für das gesamte Quartier Potsdamer Platz. Hierbei ergeben sich beim Filmemacher und beim Architekten erstaunliche Parallelen in der Herangehensweise und den Inspirationswegen. Ähnlich wie Lang vor Beginn der eigentlichen Dreharbeiten durch den emotionalen Eindruck von der New Yorker Skyline beeinflusst wurde, formulierte der Stararchitekt Renzo Piano seine Planungsvision so: „Bevor ein Architekt den Zeichenstift in die Hand nimmt, muss er den Ort besichtigen, nachdenken und zuhören. Alle Orte sprechen in gewisser Weise, und man muss so lange warten, bis man auch die leisesten Stimmen verstanden hat.“ Auf der Grundlage seiner Ideen haben internationale Stararchitekten wie Hans Kollhoff und Richard Rogers eindrucksvolle Gebäude entwickelt, die zu Meilensteinen der deutschen Hauptstadt auf dem Weg ins 21. Jahrhundert wurden. Der Architekt Hans Kollhoff hat mit seinem markanten Gebäude mit seiner prägnanten roten Torfbrandklinker-Fassade seine Vision eines transatlantischen Brückenschlags verwirklicht, die sich in ihrer Formensprache deutlich an amerikanischen Skyscrapern des Art déco orientiert. In der Haupthalle der Potsdamer Platz Arkaden steht eine vom Publikum gut besuchte Glasvitrine, die ein Architekturmodell dieses neuen Potsdamer Platzes enthält.

v.l.n.r. Haupthalle der Potsdamer Platz Arkaden, Glasvitrine mit interessierten Besuchern, Vitrine mit Architekturmodell


Spuren von Metropolis im heutigen Berlin


In den zwanziger Jahren war der Potsdamer Platz Drehscheibe für Verkehr, Großstadtleben, Vergnügen. Hier kreuzten sich fünf der belebtesten Straßen Berlins. 1925 überquerten stündlich 600 Straßenbahnen den Platz. Sein Wahrzeichen war der in der Platzmitte stehende Verkehrsturm mit
Normalzeituhr, von dessen Höhe ein Polizist den Verkehr regelte. 1924 wurde hier auch die erste Ampelanlage  in Deutschland errichtet. Europas größtes Restaurant und Varieté, das ‚Haus Vaterland’ sowie das renommierte Hotel Esplanade waren internationale Treffpunkte.

Historische Ansicht / Potsdamer Platz, 1914: Links das Grand-Hotel Bellevue, rechts das Palast Hotel | Quelle: Wikipedia/Foto: Bundesarchiv, Bild 183-R52689 / CC BY-SA 3.0 de /Es wurden keine Änderungen vorgenommen (Originalbild).


An diesen speziellen historischen Charakter wollten die Planer des heutigen Potsdamer Platzes bewusst anknüpfen. Es ist ihnen gelungen, den alten Mythos des Standortes, der bereits vor dem 2. Weltkrieg einer der belebtesten Plätze Europas war, wiederauferstehen zu lassen. Durch seinen einzigartigen Mix aus Entertainment, Kunst, Shopping, Restaurants und Geschichte bietet das Quartier Potsdamer Platz ein besonderes Flair. Der historische Straßenverlauf ist bis heute erhalten geblieben und wurde mit seinere teilweise sehr engen Straßenführung zum Markenzeichen des neuen Stadtzentrums.
Als man begann, den Potsdamer Platz in seiner jetzigen Form unter Beteiligung namhafter international renommierter Architekten zu entwickeln, war das Gelände eine von der Berliner Mauer geteilte Brachfläche. Heute ist ein neues Zentrum mit zahlreichen Bürotürmen, Wohnungen, Kulturinstituten, Hotels und Geschäften entstanden. Das Herzstück bildet ein Ensemble aus sieben Gebäuden, die zusammen ein spitzes Dreieck als Eingangstor zum Platz bilden. Es gibt mehrere Luxushotels, ein Musical-Theater, eine Spielbank und ein Varieté. 

Das spitze Dreieck als Eingangstor zum Platz


Sehr beliebt ist auch die Piazza im benachbarten Sony Center, das im engeren Sinne nicht zu dem hier beschriebenen Quartier gehört. Das zentrale Forum ist durch ein zeltartiges, ovales Dach wettergeschützt. Die Stahlkonstruktion, eine Meisterleistung des Architekten Helmut Jahn, schwebt wie ein riesiger Regenschirm über den Köpfen der Besucher. Nachts erstrahlt das Gebilde in bunten Bonbonfarben. Damit ist es zu einem weiteren Wahrzeichen des Potsdamer Platzes geworden. Heute ist der neue Potsdamer Platz eine echte innerstädtische Mitte, die von den Berlinern und den Besuchern der Stadt angenommen wurde. Über 100.000 Menschen besuchen täglich den Potsdamer Platz.
Am Potsdamer Platz hat auch die Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen ihren Standort. Im Mittelpunkt der Ständigen Ausstellung stehen die beiden Leitmedien Film und Fernsehen, von ihren Anfängen bis in die Gegenwart. Selbstverständlich gibt es dort auch einen Ausstellungsbereich zum Film METROPOLIS. Hier schließt sich wieder der Kreis zwischen METROPOLIS und BERLIN.

v.l.n.r. Renzo Piano Tower im Vordergrund, Blick auf beide Türme, Kollhoff-Tower-Seitenansicht

v.l.n.r. Gesamtansicht des Quartiers, Blick vom Landwehrkanal-im Vordergrund das ehemalige Debis Haus, Seitenblick auf die Potsdamer Platz Arkaden

Fotos/Illustrationen, wenn nicht besonders gekennzeichnet: Fred Tille

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