Privater Kunstblog zum Thema:

Künstlerisches Handeln in Zeiten globaler Umbrüche


Die Welt von heute scheint aus den Fugen geraten. Sie ist durch große Unsicherheit, Unübersichtlichkeit und Fragilität, Krieg und Flucht, Terror und Gewalt geprägt. Damit ist die Entwicklung unserer zukünftigen Lebenswelten wieder zu einem bedeutsamen Schwerpunkt in der Kunst geworden. Auch die Erkenntnisse und Prognosen der Techniksoziologie und der Zukunftsphilosophie werden zunehmend als Gegenstand der Kunst entdeckt. Die bildende Kunst, das Theater, die Literatur und der Film reagieren darauf auf unterschiedliche Art und Weise. Mich beschäftigt die Frage, wie kann sich der Künstler, der ja Teil dieser Entwicklungen ist, den sich daraus ergebenden existentiellen Herausforderungen sinnvoll nähern? In diesem Zusammenhang möchte ich meine Bilder aus der Zeit um 5 nach 12 in lockerer Folge vorstellen. Texte zu den globalen Auswirkungen des westlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems ergänzen diese bildlichen Darstellungen. Über Reaktionen von Künstlern, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen, würde ich mich freuen.


Sonntag, 24. Mai 2020

Bisky geht an die Decke! Dystopische Himmelslandschaft in der St. Matthäus Kirche / Berlin | Teil 1


Thematisch passend zum Jubiläum 30 Jahre nach dem Mauerfall ist Norbert Bisky in Berlin und Potsdam über den Jahreswechsel 2019/2020 mit einer Doppelausstellung RANT und POMPA zu DDR und Mauerfall sehr präsent. 

Der in der DDR geborene Maler verarbeitet 30 Jahre nach dem Mauerfall künstlerisch seine Erfahrungen mit Teilung und Wiedervereinigung und verbindet diese mit der Frage nach den Leitbildern unserer Zeit.

Während die Ausstellung RANT in Potsdam sich mit den Ereignissen um den Mauerfall beschäftigt, liegt der Fokus für die Berliner Schau mit dem Titel POMPA auf den Jahrzehnten nach der Wende.

Die Basics der künstlerischen Positionen von Bisky könnt ihr in meinem Post Trilemma nachlesen.

In diesem Post will ich aber den Schwerpunkt darauf legen, welche spezielle Präsentationsform der Künstler gewählt hat. In der St. Matthäuskirche geht Bisky an die Decke!

Eingang der St. Matthäuskirche mit Bisky-Banner. 
Im Hintergrund der Potsdamer Platz.

Bisky geht an die Decke!


Als Norbert Bisky die St. Matthäus Kirche zum ersten mal betrat, um einen Eindruck vom Ort seiner geplanten Ausstellung zu bekommen, hatte er spontan die Idee seine Bilder unter die Decke zu hängen. Zu seiner Überraschung zeigten sich die Ausstellungsverantwortlichen der Kirche nicht als skeptische Bedenkenträger, sondern offen für diese Präsentationsmöglichkeit. Wie es dann zur Realisierung kam, berichtete Bisky im Rahmen eines Künstlergesprächs in der St. Matthäus-Kirche.

Auf dieses Künstlergespräch beziehe ich mich, wenn ich im folgenden Text aus meinem Gedächtnisprotokoll und meinen Aufzeichnungen Bisky zitiere oder über dessen künstlerische Beweggründe spreche. 

Künstlergespräch mit Norbert Bisky am 23. Januar 2020. 
Das Gespräch führte Ingeborg Ruthe, Kunstredakteurin der Berliner Zeitung.


Die biskynische Kapelle


Mit dieser für die Berliner Zeitung taz typischen Überschrift berichtete das Blatt über Biskys Coup, seine Bilder hoch oben an der hölzernen Kirchendecke zu installieren, so wie man es aus barocken Kirchen kennt. Die Anspielung auf die berühmte Sixtinische Kapelle, eine der Kapellen des Papstpalastes unmittelbar nördlich des Petersdoms gelegen, und auf das noch berühmtere Deckengemälde von Michelangelo wirkt auf den ersten Blick sehr kühn.  

Bild oben: Sixtinische Kapelle, Quelle Wikipedia CC BY-SA 3.0 
Bild unten: St. Matthäus Kirche  

Betrachtet man jedoch Biskys gewaltiges Figurenszenario, die taumelnden oder durch die Luft fliegenden Menschen vor dramatischen Himmelslandschaften, können sich Assoziationen zu den italienischen Manieristen einstellen. Andere denken an Goya und weitere spanische Altmeister. Im bereits erwähnten Künstlergespräch schilderte Bisky wie er in den Neunzigern mit einem Stipendium in Madrid arbeiten konnte und die Kunst der alten Meister geradezu aufgesogen hatte. Mit einer Kopiergenehmigung des Prado zog er täglich mit Zeichenblock und Malkarton ins Museum und studierte und kopierte seine favorisierten Maler. Zusammen mit den italienischen Meistern sind sie bis heute eine starke Inspirationsquelle für Biskys Malerei.
Vor diesem Hintergrund erscheint dann der Vergleich mit der Deckenmalerei von Michelangelo aus künstlerischer Sicht gar nicht mehr so kühn und abwegig.

Blick auf die aufwändige Deckeninstallation 
älterer und neuerer Werke von Norbert Bisky


Welchen Göttern huldigen wir heute?


Mit seiner aufwändigen Deckeninstallation älterer und neuer Werke zeigt Norbert Bisky seinen Blick auf die Welt nach 1989 in einer dystopischen Himmelslandschaft: Auch der Titel Pompa stellt einen sakralen Bezug her. Der Begriff kommt aus dem lateinischen und bedeutet in der Übersetzung Geleit/Leitung. Pompa bezeichnete im alten Rom religiöse Festprozessionen mit Götter- und Ahnenbildern. Welchen Göttern huldigen wir heute? Welche Bilder prägen heute unser kulturelles und religiöses Gedächtnis? Diese Fragen stellt die Berliner Präsentation. Sie findet parallel zur Ausstellung RANT von Norbert Bisky in der Villa Schöningen in Potsdam statt.

Rant ist eine Umschreibung aus dem englischen für Gezeter und Hetze im Netz, deren Urheber sich jedoch meist hinter Pseudonymen verstecken.

Die Plakate der Parallelausstellungen. Oberes Bild: Berlin | Unteres Bild: Potsdam


Bisky trifft Tintoretto in Venedig

Aber zurück zu Biskys Beweggründen für die Deckeninstallation.

 "Ich denke viel nach über die Präsentation von moderner Malerei als Deckenbilder. Gerade weil das so aus der Zeit gefallen scheint" und weiter...
 „Ich bin gerne in Kirchen, Moscheen, Synagogen. Da komme ich zur Ruhe, zum Nachdenken über die Welt. Unlängst war ich in Venedig, die Deckenbilder in Kirchen und Palazzi gehen mir nicht aus dem Kopf.“ 

Über Bisky und Tintoretto in Venedig und darüber wie tückisch eine Deckenpräsentation sein kann, berichte ich demnächst in Teil 2 meines Blogpost Bisky geht an die Decke!

Die Ausstellungen:
Rant, Villa Schöningen, 9. November 2019 bis 23. Februar 2020,
Pompa, Berliner St. Matthäus-Kirche, 10. November 2019 bis 16. Februar 2020

Sämtliche Fotos mit Ausnahme der extra gekennzeichneten: Fred Tille 
Obwohl meine Fotos nur allgemeine Ausstellungsansichten und keine expliziten, detaillierten Werkfotos zeigen, bitte ich die Urheberrechte des Künstlers Norbert Bisky an seinen Werken zu beachten.

Weiterführende Links: