Privater Kunstblog zum Thema:

Künstlerisches Handeln in Zeiten globaler Umbrüche


Die Welt von heute scheint aus den Fugen geraten. Sie ist durch große Unsicherheit, Unübersichtlichkeit und Fragilität, Krieg und Flucht, Terror und Gewalt geprägt. Damit ist die Entwicklung unserer zukünftigen Lebenswelten wieder zu einem bedeutsamen Schwerpunkt in der Kunst geworden. Auch die Erkenntnisse und Prognosen der Techniksoziologie und der Zukunftsphilosophie werden zunehmend als Gegenstand der Kunst entdeckt. Die bildende Kunst, das Theater, die Literatur und der Film reagieren darauf auf unterschiedliche Art und Weise. Mich beschäftigt die Frage, wie kann sich der Künstler, der ja Teil dieser Entwicklungen ist, den sich daraus ergebenden existentiellen Herausforderungen sinnvoll nähern? In diesem Zusammenhang möchte ich meine Bilder aus der Zeit um 5 nach 12 in lockerer Folge vorstellen. Texte zu den globalen Auswirkungen des westlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems ergänzen diese bildlichen Darstellungen. Über Reaktionen von Künstlern, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen, würde ich mich freuen.


Montag, 14. Dezember 2015

Noch 30 Jahre bis 2045 | Singularity-Was bleibt vom Menschen?

Auf einem Foto in seinem Buch Menschheit 2.0 trägt Ray Kurzweil, der Prophet des Transhumanismus, ein schmutziges Pappschild vor der Brust mit der Aufschrift: The Singularity is near (1). Ein selbstironischer Auftritt, der an einen Straßenprediger erinnern soll, der vor dem nahen Weltuntergang warnt und die Menschen zur Umkehr aufruft. Das Projekt der Singularität ist in seiner Konsequenz aber alles andere als lustig. 



Singularity und Transhumanismus: Die gefährlichsten Ideen der Gegenwart


Singularity, kennzeichnet den Zeitpunkt, an dem Maschinenintelligenz die Gesamtheit der menschlichen Intelligenz überschreiten und deshalb jede weitere Zukunftsvorhersage unmöglich wird. Die technologische Neuerungsrate überschlägt sich so exponentiell, dass die Menschen die technische Fortentwicklung nicht mehr nachvollziehen und vorhersagen können. Die künstliche Intelligenz ist dann in der Lage auch und gerade ohne Zutun des Menschen sich selbst umzugestalten.

Die Absichten dieser superintelligenten Kraft sind dem Menschen dann nicht mehr voll zugänglich und Entwicklungen auch nicht mehr zuverlässig steuerbar. Maschinen übernehmen das Denken, der Mensch transzendiert sein Dasein. Kritiker stellen die berechtigte Frage: Was passiert, wenn diese künstliche Intelligenz außer Kontrolle gerät und diese nicht besonders zuvorkommend mit den Menschen umgeht? Der Mensch 2.0 ist dann selber unter die Objekte der Technik geraten. Ray Kurzweil prognostiziert diese exponentielle Zunahme der informationstechnologischen Entwicklung für das Jahr 2045.  

Mensch 2.0

Kurzweil ist der Hauptverfechter des Singularity - Konzepts und er ist keineswegs ein futuristischer Wirrkopf. Er gilt als anerkannter Zukunftsforscher und ist Chefentwickler bei Google. Bill Gates bezeichnet ihn als besten Futurologen der Gegenwart. Dennoch wird der Transhumanismus häufig als Religion der Digital Natives und Nerds abgetan. Dem ist aber nicht so. Einige der vermögendsten, technikaffinen und einflussreichsten Unternehmer und Wissenschaftler im Silicon Valley haben sich dem Konzept der Singularity verschrieben. Sie glauben, dass allein Technologie die Probleme der Welt lösen kann. Zugleich erlaubt der technologische Fortschritt der Menschheit die Kontrolle über die eigene Evolution zu übernehmen. Gegen diesen Denkansatz hat sich Ende 2004 der US-amerikanische Politikwissenschaftler Fukuyama ausgesprochen und den Transhumanismus als die gefährlichste Idee der Gegenwart bezeichnet.

Im folgenden YouTube Beitrag könnt ihr euch ein aufschlussreiches Statement von Kurzweil zur Zukunft der menschlichen Spezies im Rahmen des Kongresses GlobalFuture 2045 mit Übertiteln in englischer Sprache ansehen.



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2045 - Schöne Neue Welt ? Unsterblichkeit und Mensch 2.0?

Bis zum Jahr 2045 soll der Mensch seine biologischen Grenzen überwunden haben. Möglich werden soll das durch die zunehmende Verschmelzung von Mensch und Technik. Diese neue Hybridform zeichnet sich durch verbesserte geistige Fähigkeiten aus und ihre Zellstruktur wird dank körpereigener, antioxidativ wirkender Nanoroboter laufend regeneriert.

Nanoroboter

Die radikalen Anhänger des Transhumanismus, zu denen auch Kurzweil gehört, denken noch weit darüber hinaus. Ihr Ziel ist es, die Einheit von Körper und Geist ganz aufzulösen. Sie hoffen, dass es uns künftig gelingt, unser Wissen, unsere Fähigkeiten und unsere Persönlichkeit zu digitalisieren. Dieses digitale Ich könnten wir dann in beliebige virtuelle Körper und virtuelle Welten hochladen. So könnten wir ewig leben und wären nicht mehr auf unsere sterbliche Hülle angewiesen.

Das Projekt der Singularität verfolgt damit nichts anderes als die Abschaffung der Menschheit, so wie wir sie kennen.Das Ende des Menschen als körperliches Wesen aus Fleisch und Blut, mit Selbstbewußtsein und Seele. Im Ergebnis dieser genetisch-technologischen Revolution würde der Mensch 2.0 nach Ansicht der Transhumanisten einen uralten Menschheitstraum verwirklichen: Unsterblichkeit!

Singularity

Die Singularity Universität als Think Tank für Transhumanismus und Posthumanismus


Diese superintelligente Menschmaschine, die durch mind-uploading intelligenter, schneller, effektiver und widerspruchsfreier agieren soll als der alte Mensch 1.0 zu konstruieren, bedeutet noch sehr viel Arbeit und verschlingt auch sehr viel Geld.
Deswegen hat Kurzweil 2008 im Silicon Valley die Singularity University unter tatkräftiger Mithilfe von Google und der Weltraumbehörde Nasa gegründet.

An der Transhumanismus-Hochschule studieren neben Studenten auch Manager und Politiker. Sie werden im exponentiellen Denken geschult. Die Quellen für ihre Visionen finden die Transhumanisten in der wissenschaftlichen Grundlagenforschung.
Auf dem Lehrplan der Elite-Uni, die außerordentlichen Zuspruch erhält, stehen folglich Informatik, Robotik, Neurowissenschaften, Luftfahrt, Nanotechnologien, Jura, Statistik, aber auch praktische Übungen in Schwerelosigkeit.

Aus Tausenden Bewerbern, die bereit und in der Lage sind für einen zehnwöchigen Kurs 25.000 US-Dollar auszugeben, kann die Singularity University jährlich achtzig Studenten auswählen. Die Lehrenden und Lernenden verstehen sich als Think Tank der technologischen Elite und zugleich als globale Botschafter ihres futuristischen Weltbildes. Ray Kurzweil ist mit seinen Ideen bis ins Weiße Haus vorgedrungen. Das bekannte Brain Project von Präsident Obama basiert nicht zuletzt auf Kurzweils Visionen. 

Cyborg


Wird der nächste US-Präsident ein Cyborg sein (2)?Drei Schritte auf dem Weg zu einer transhumanistischen Gesellschaft


In enger Zusammenarbeit mit der Singularity University leiteten die Anhänger des Transhumanismus in den USA im Jahr 2014 drei Schritte auf dem Weg zu einer transhumanistischen Gesellschaft ein.

  • Der Start des Google-Biotechnologieprojekt Beendet das Altern und besiegt den Tod
  • Die Intensivierung der BRAIN-Initiative von Präsident Obama (Brain-Computer-Interfaces)
  • Die Gründung der Transhumanistischen Partei in den USA  

Die Botschaft lautet: Die Technik wird alles lösen, sie ist in ihrem unaufhaltsamen und teilweise unumkehrbaren Fortschritt der universelle Hebel zur Lösung der globalen Menschheitsprobleme.
Damit will sich die radikale internationale Technikcommunity in das Ringen um konkrete politische Macht einschalten und die Ideen des Transhumanismus zu einem dauerhaften politischen Faktor in der öffentlichen Wahrnehmung etablieren.

Roboter


Der Wolf im Schafspelz und das Prinzip Verantwortung


Stefan Lorenz Sorgner, ein bekannter deutscher posthumanistischer und transhumanistischer Philosoph, äußerte sich in einem Zeit-Interview (3): "Zunächst einmal ist die Verschmelzung von Mensch und Technik eine Entwicklung, die bereits stattgefunden hat. Wir sind ja schon Cyborgs, diejenigen etwa, die einen Herzschrittmacher tragen. Mit dem technischen Fortschritt gehen enorm viele Facetten einher, die unser Leben einfach lebenswerter machen und unsere Lebensspanne unglaublich erweitert haben. Aus transhumanistischer Sicht lautet die Überlegung also: Warum sollte diese Entwicklung aufhören?"

Mit dieser unverfänglichen Argumentationskette beginnt fast jeder Transhumanist seine Überzeugungsarbeit. Welcher vernünftige Mensch sollte etwas gegen Herzschrittmacher oder Exoskelette haben, die Querschnittsgelähmten neue Möglichkeiten der Mobilität eröffnen. Was der Wolf im Schafspelz meistens nicht beantwortet, ist die Frage, was am Ende dieser Entwicklung steht und was vom Menschen bleibt.

Die Verschmelzung

Und die Entwicklung ist bereits weitergegangen. Die Firma Alcor in Scottsdale, Arizona (USA) offerierte bereits 2004 für 120.000 Dollar die kryonische Aufbewahrung des ganzen Körpers. Wer an die Rekonstruktion des Körpers mit künftiger Gentechnik oder an das Mind uploading in künftige Supercomputer glaubt, kommt preiswerter weg: Haltbarmachung des Gehirns bis zur Wiederbelebung kostet nur 50.000 Dollar.


Angesichts der schnellen Fortschritte in der Biotechnologie wird es bald künstlich erzeugte Ersatzorgane, spezielle Medikamente, Roboter und künstliche Gliedmaßen geben, die das Leben erheblich verlängern werden. Fortschritte, die sich nur die Vermögenden und Reichen dieser Erde werden leisten können. Und damit stellt sich die Frage nach einer Zukunft, in der zwischen den Gesellschaftsschichten eine biologische Kluft aufbricht und in der sich die Superreichen zu einer völlig neuen Spezies entwickeln können, die mindestens 20 Jahre länger lebt und folglich auch länger aktiv ist.

Die Entwicklung von Technik und Wissenschaft zeigt, dass das, was technisch machbar ist, auch unaufhaltsam vorangetrieben wird. Aus technologischer Sicht können wir die Grenzen des künftig Machbaren kaum setzen. Müssen wir nicht aus moralischen Gründen Grenzen setzen?
Theologen und Technikphilosophen setzen deshalb auch ihre fundamentale Kritik transhumanistischer Positionen an deren ethischen Defiziten und blinden Flecken in ihren Argumentationslinien an.

Ein Androide entsteht

In einem der bedeutendsten philosophischen Werke des 20. Jahrhunderts Das Prinzip Verantwortung-Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation hat Hans Jonas (1903-1993) bereits 1979 eine Antwort auf die spezifisch neuen ethischen Herausforderungen der technologischen Zivilisation gegeben. Er sprach sich für eine Heuristik der Furcht beim Betreten des Neulands Hochtechnologie aus. Für die ethische Theorie war dieses Neuland damals noch ein Niemandsland, das nach und nach theoretisch und philosophisch erschlossen werden musste. Dieser kritische Prozess dauert bis heute an.

Auch die Transhumanisten kennen die Probleme, die mit den neuen ethischen Herausforderungen der technologischen Zivilisation einhergehen und setzen sich mit ihnen auseinander. Dennoch sehen sie im Fortschritt letztlich mehr Vor- als Nachteile, weshalb sie davon ausgehen, dass sich diese bereits fortgeschrittenen Entwicklungen durchsetzen werden. Ihrer Auffassung nach müssten die Menschen vielmehr lernen, mit den damit verbundenen Schwierigkeiten und Risiken umzugehen.
Das Argument der Selbstüberschätzung lassen sie nicht gelten und Kritiker ihrer Positionen werden oftmals unter den Generalverdacht der ewig Rückständigen gestellt.

Prometheus noch gefesselt

Zum Abschluss möchte ich deshalb Hans Jonas zitieren: "Der endgültig entfesselte Prometheus, dem die Wissenschaft nie bekannte Kräfte und die Wirtschaft den rastlosen Antrieb gibt, ruft nach einer Ethik, die durch freiwillige Zügel seine Macht davor zurückhält, dem Menschen zum Unheil zu werden (4)."

In 30 Jahren vielleicht.

Heuristik der Furcht

Notes:

(1) Diesen Link habe ich nur eingefügt, um auf das im Post genannte Foto von Ray Kurzweil zu verweisen. Die website GarmaOnHealth von Joe Garma enthält ansonsten eine sehr private Sicht und Interpretation auf die Wege zu einem vitalen Leben.
Discover how to get stronger, look better and live longer! wie es von Joe Garma vertreten wird, entspricht nicht unbedingt der Meinung des Autors.

Ein Interview mit Zoltan Istvan veröffentlicht in WIRED :
Autor: Max Biederbeck, 07.11.2014.
Istvan ist ein prominenter Verteter des Transhumanismus, Autor des kontrovers diskutierten Sience-Fiction-Romans The Transhumanist Wager und Spitzenkandidat seiner eigenen Partei, der Transhumanistischen Partei der USA.
Das online Magazin WIRED stellt regelmäßig die interessantesten Artikel des Internets aus Technologie, Kultur, Wissenschaft, Business und Design zusammen.

Ein Gespräch mit dem Philosophen Stefan Lorenz Sorgner, der auf die großen Vorzüge eines digital getunten Körpers setzt.
Von Judith E. Innerhofer
Editiert am 13. Mai 2013, DIE ZEIT Nr. 20/2013

(4) Quelle: Das Prinzip Verantwortung-Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Suhrkamp Taschenbuch 1085, S.7

Weiterführende Links:

Über Ray Kurzweil:
Die Ökonomie der Kurzweilschen Unsterblichkeit erklärt sich gut durch einen Besuch beim Onlineshop Ray and Terry’s

TELEPOLIS | heise online:

Die offizielle Website: What is Singularity University?
Die Singularity University im amerikanischen Silicon Valley soll sich nach den Vorstellungen seiner Gründer mit dem künftigen Einsatz von Zukunftstechnologien beschäftigen und die herkömmliche, akademische Ausbildung ergänzen. 

Ein guter Überblick zu den Fragen: Sind transhumanistische Zukunftsprognosen über die technologische Entwicklung realistisch, und welche ethischen und anthropologischen Konsequenzen ergeben sich daraus.

Stefan Lorenz Sorgner ist ein deutscher posthumanistischer und transhumanistischer Philosoph, ein Nietzsche-Forscher, Musikphilosoph und ein Experte im Bereich der Ethik der neuen Technologien. (Quelle: Wikipedia )

Sie bezeichnen sich als die erste Partei der säkularen und evolutionären Humanisten. Nach eigener Aussage stellen sie den Menschen über Dogmen und Ideologien. Sie setzen sich für die individuelle Freiheit, eine soziale Gesellschaft und wissenschaftlichen Fortschritt ein.

Das Prinzip Verantwortung. Einen guten Überblick über Thesen und Aufbau des Buches sowie eine Kritik und Würdigung dieser philosophischen Ethik gibt der folgene Eintrag bei Wikipedia.

Sämtliche Illustrationen: Fred Tille