ZEITLAICH
ist der Titel des wohl zur Zeit größten Bildes von Berlin, das
Jonas Burgert gemalt hat. Malerei auf 22 Metern Länge und 6 Metern
Breite. Damit hatte er den Coup des Gallery Weekends 2017 in Berlin
gelandet.
Anlässlich
der Vernissage in der Blain/Southern Gallery am 28. April 2017 und in
der Vorberichterstattung der Presse fragten sich die
Kunstinteressierten in erster Linie:
Wo hat er
bloß angefangen und wie hat er dieses Riesenformat technisch
bewältigt?
Hierauf
gibt der Künstler die eigentlich nicht überraschende Antwort:
"Ein Bild
dieser Größe zu machen, war immer schon mein Traum."
Zur
Veranschaulichung der technischen Umsetzung gibt es auf YouTube ein
sehr gutes Video Time
Lapse, das Burgert in seinem Studio während des Entstehungsprozesses
von ZEITLAICH
zeigt.
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YouTube
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Herrliches
Desaster
Die viel
wichtigere Frage, warum und mit welchem Inhalt Burgert so ein
gewaltiges Bild machen wollte, trat leider zunächst total in den
Hintergrund.
Zu seinen
inhaltlichen Beweggründen erklärt der Künstler in einem Gespräch
mit Craig Burnett, dem Director of Exhibitions von Blain/Southern:
„Wir
wissen überhaupt nicht, wer wir sind. Damit schlagen wir uns ständig
herum und erfinden tausend Religionen, die uns dann doch nicht
weiterhelfen, an einem Ort führen wir Kriege, an einem anderen
machen wir Liebe und wollen die Intensität des Gefühls erleben. Und
dieses herrliche Desaster,
das wir mit alldem erzeugen, ist etwas, das wir nicht einfach
ignorieren können. Von daher habe ich diese Idee einer Zuspitzung
von überbordendem, wunderbarem Blödsinn. (1)
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Ausstellungsblick auf ZEITLAICH | Linker und mittlerer Bereich |
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Ausstellungsblick auf ZEITLAICH | Rechte Seite |
Menschenlandschaften
in albtraumhafter Kulisse
Damit hat
Burgert das zentrale Thema seiner Kunst beschrieben. In seiner Welt
des herrlichen Desasters bewegen sich Figuren auf
verschiedenen Ebenen. Sie gruppieren sich zu Menschenlandschaften in
albtraumhafter Kulisse.
Dabei arbeitet der Künstler mit schrillen
Farben, die jedoch in der Tonalität sehr präzise aufeinander
abgestimmt sind und die dem Betrachter entgegenspringen. Diese Form
der Farbgebung ist mir sehr sympathisch, denn ich bevorzuge in meinen
Bildern auch eine lebhafte Farbgebung. Sie haucht Burgerts Bildern
Expressivität und Leben ein. Kurzum, in Burgerts großformatigen
Bildern herrscht das Chaos.
Seine Bildideen holt sich Burgert wie
sehr viele Künstlerkollegen aus einem privaten Riesenarchiv an Fotos
aus Zeitschriften und Zeitungen, in denen vor allem Menschen in
verschiedenen Lebenssituationen dargestellt werden. Der Künstler
sucht sich Anregungen aus dem herrlichen Desaster unserer
realen Welt. Dabei geht es ihm aber nicht um naturalistische
Darstellung, sondern um den Ausdruck und den psychischen Charakter
der Figuren.
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Der Künstler arbeitet mit schrillen Farben, die jedoch in der
Tonalität sehr präzise aufeinander abgestimmt sind und die dem
Betrachter entgegenspringen.
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ZEITLAICH
und Der Triumph des Todes: Parallelen bei Burgert und Brueghel
d.Ä.
Aus dem
bereits erwähnten Gespräch mit Craig Burnett möchte ich noch zwei
interessante Gesichtspunkte hervorheben.
Dabei komme
ich zunächst wieder auf das Format zurück. Burnett erwähnt das
Gemälde Der Triumph des Todes von Brueghel d.Ä. In diesem
Bild bringt er hunderte von Skeletten in dem vergleichsweise winzigen
Format von 117 × 162 cm unter.
Welch ein Gegensatz zu
Burgert. Darauf kommt es mir aber nicht an. Jeder Künstler malt eben in dem Format, was ihm liegt und er für angemessen hält. Vielmehr
geht es mir um den Inhalt von Brueghels Gemälde.
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Der Triumph des Todes | Pieter Bruegel der Ältere, um
1562 | Öl auf Holz | 117 × 162 cm | Museo
del Prado, Madrid | Quelle: Wikipedia | Gemeinfrei
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Der Triumph
des Todes ist ein Thema
der europäischen Kulturgeschichte seit dem Mittelalter, vor allem in
der Bildenden Kunst. Unter dem Eindruck der Pest, die ganze Städte
Europas entvölkerte und die die Menschen in apokalyptische Angst
versetzte, bearbeiteten viele Künstler dieses Thema.
Auch Brueghel nahm den damaligen Zustand der Welt als Quelle für sein
berühmtes Bild, das in drastischer Form zeigt, wie
der
Tod über Irdisches siegt. Er griff die Hilflosigkeit und
Verzweiflung der Menschen auf und malte einen Totentanz, der sich zu
einem grausamen Geschehen von Vernichtung, menschlicher
Trostlosigkeit und Hoffnungslosigkeit verdichtete.
Zwar nicht wie bei
Burgert mehr ironisch gebrochen als herrliches Desaster, aber in
gewisser Weise auch als ZEITLAICH
des 16. Jahrhunderts.
ZEITLAICH
und Woher
kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir? von Gauguin
Der zweite
Hinweis von Burnett bezieht sich auf Parallelen zu Gauguins berühmtem
Großgemälde Woher kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir?
Auch
Burgert stellt in seinem Werk die Frage „Wir wissen überhaupt
nicht, wer wir sind.“
Burgert
bejaht diese Parallele zu Gauguins friesartiger Komposition. Nach
eigener Aussage liebt Burgert Gauguins Erfindungsreichtum in Formen
und Farben und dessen Blick aufs Ganze.
„Ich
glaube, ich bin ein sehr abstrakter Maler. Ich denke vielleicht 70
Prozent der Zeit über die Komposition nach, und wie ich einen
Ausgleich zwischen kalten und warmen Farben schaffen kann. Und von
daher liebe ich Gauguin.“ (2)
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Paul Gauguin | Woher
kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir? |1897
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ZEITLAICH
und die Beobachter
Gegenüber von dem Riesengemälde hat
Burgert eine Reihe von Portraits gehängt. Ganzfiguren fast in
Lebensgröße gemalt. Sie blicken nicht nur den Betrachter direkt,
sondern auch das Geschehen auf ZEITLAICH gegenüber an. Sie sind
die Beobachter.
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Ganzfiguren fast in Lebensgröße gemalt |
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Riesengemälde mit Reihe
von Portraits gegenüber. Die Beobachter
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Elf weitere
Arbeiten im 2.
Stock der Galerie
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Im 2. Stock
der Galerie werden elf weitere Arbeiten gezeigt. Hierzu empfehle ich
die Blicke in die Ausstellung auf der Website von Blain/Southern
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Von
ZEITLAICH bis Raube | Rätselhafte Titel
Nicht nur
ZEITLAICH ist ein eigenwilliger und etwas rätselhafter Titel.
Die Laichzeit ist die Zeit der Eiablage
bei Fischen und Amphibien. Oder der Song Laichzeit zum
Thema Inzest der umstrittenen Musikgruppe Rammstein, die
häufig sehr kontroverse, tabuisierte und schambesetzte Themen in
ihrer Musik verarbeitet.
Ob der Künstler diese Bedeutungsvarianten
bei seiner Titelgebung im Sinn hatte, bleibt offen und damit der
Phantasie des Betrachters überlassen. Ich sehe in ZEITLAICH die
Darstellung eines desaströsen Weltenwandels, den ich allerdings
nicht mit dem Attribut herrlich verbinden
kann. Oder man nimmt den Titel einfach als vorgegebenes
Kunstwort hin, ohne sich weiter darüber einen Kopf zu machen.
Auch die
anderen Titel von Burgerts Bildern wie z.B. Mutsud, Nachtag,
Blattschatt, Zweifang, ein Mut, die in der aktuellen Ausstellung
gezeigt werden, lassen beim Betrachter interessante
Interpretationsmöglichkeiten zu.
Deshalb
ganz im Sinne von ZEITLAICH zum Abschluss ein Witz von
Burgert, den er in einem Interview der Berliner Morgenpost (3)
erzählt hat.
"Die
Erde und ein anderer Planet treffen sich, fragt der Planet 'Und wie
geht's so?' Die Erde antwortet: 'Nicht so gut, ich hab homo sapiens.'
Darauf der andere Planet: 'Das geht vorbei'."
Jonas Burgert
Burgert, Jonas (*1969) lebt und
arbeitet in Berlin.
Jonas Burgert studierte bis 1996 an der
Akademie der Bildenden Künste in Berlin und absolvierte dort
anschließend seinen Meisterschüler unter Professor Dieter Hacker.
Seit 1998 sind seine Arbeiten
international in zahlreichen Gruppenausstellungen gezeigt worden.
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Eingang zur Galerie
Blain Southern
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Blain|Southern
JONAS BURGERT |ZEITLAICH
29.
April-29. Juli 2017
Berlin
Galerie
Blain|Southern
Potsdamer
Straße 77–87
10785 Berlin
+49
(0)30 6449 31510
berlin@blainsouthern.com
Quellen:
(1) und (2) Öffentlich in der Galerie ausliegendes Begleitmaterial
zur Ausstellung. Jonas Burgert im Gespräch mit Craig Burnett,
Blain|Southern
(3) Berliner Morgenpost, Eva Lindner
20.04.2012
Sämtliche
Fotos: Fred Tille mit Ausnahme der Foto-Einzelnachweise.
Obwohl
meine Fotos nur allgemeine Ausstellungsansichten und keine
expliziten, detaillierte Werkfotos zeigen, bitte ich die
Urheberrechte des Künstlers, Jonas Burgert an seinen Werken zu
beachten.
Courtesy
of Galerie Blain|Southern