Anton Corbijn ist der Fotograf, dem
die Stars des Rock und Pop vertrauen. Ob Mick Jagger, Frank Sinatra,
Johnny Cash, U2, Nirvana, Nick Cave, Tom Waits, Metallica, Johnny
Rotten, Depeche Mode oder Herbert Grönemeyer - er hatte sie alle vor
seiner Kamera. Dabei bürstet er das Image der Rockstars, die er am
liebsten ablichtet, kräftig gegen den Strich. Seine meist körnigen
Schwarzweißbilder von Rockmusikern zeigen Kratzer an der Oberfläche,
die Bildausschnitte wirken zufällig, die Komposition und Farbgebung
unperfekt. Bewusst und mit voller Absicht verweigert sich der
Fotograf formal und inhaltlich der Versuchung nur den üblichen
Glamourfaktor abzubilden. Corbijn kann mit den Stars machen,
was er will. Die Fotos sind die Stars.
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Das Plakat im Eingangsbereich der
Ausstellung zeigt den jungen Corbijn. Das eigene junge Gesicht ist
dabei malerisch von einem schwarzen Rahmen umgeben, der wie mit
Tusche gemalt zu sein scheint. Der Schriftzug Anton hinter
seinem Kopf ist halb durchgestrichen. Das Ganze wirkt wie eine Geste
ins Ungewisse und eher wie Malerei als Fotografie.
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Zum 60. Geburtstag von Anton Corbijn
widmete das C/O Berlin dem Fotografen eine große Retrospektive. Mit
500 Fotografien zeigt die Ausstellung seine Entwicklung vom
autodidaktischen Beginn zu einem der einflussreichsten Fotografen der
Gegenwart.
Die Ausstellung bestand aus zwei
Teilen: Hollands Deep bietet einen Überblick über sein
gesamtes Werk der vergangenen 40 Jahre.
1-2-3-4 präsentiert seine
Arbeiten aus der Musikwelt. Porträts und ganze Band-Studien
entfalten sich hier.
Corbijn ist in seinem künstlerischen
Auftritt zurückhaltend. Die Ausstellungsarchitektur wirkt angenehm
sachlich und bewusst unterkühlt. Umso mehr Fotografien hängen eng
neben - und übereinander. In 40 Jahren Schaffen kommt so einiges
zusammen. Gut für den Besucher, denn er bekommt im wahrsten Sinne
des Wortes wirklich etwas zu sehen.
Ich habe mir die Ausstellung angesehen
und war sehr beeindruckt von der Authentizität der Künstlerportraits.
Den grobkörnigen Bildern merkt man an, dass der Fotograf eine enge
menschliche Beziehung zu den Portraitierten hatte. Die Fotografien
von Musikern, Künstlern und kulturellen Ikonen sind immer Bilder,
die unter die Oberfläche gehen. >Ich habe immer nach der
inneren Schönheit und innerem Kampf gesucht <. So umschreibt
Corbijn seine fotografische Herangehensweise und Ästhetik. Und genau
dieses Ringen zwischen innerer Schönheit und innerem Kampf spricht
den Betrachter seiner Fofografien unmittelbar an.
An dieser Stelle möchte ich einen
kurzen Filmbeitrag (5:03) mit Impressionen und Statements des
Künstlers und der Ausstellungsmacher anlässlich der Eröffnung der
Retrospektive in Berlin einfügen.
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YouTube
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»Es
fällt mir schwer, lächelnde Bilder zu machen.«
A.C.
In
der Ausstellung ist mir kein Bild in Erinnerung, auf dem gelächelt
wurde. Corbijns Fotos wirken sehr ernsthaft und verbreiten eine
existentielle Grundstimmung. Er erklärt diese existentielle Seite
seiner Kunst mit den frühen Prägungen seines protestantischen
Elternhauses, in dem die religiöse Beziehung zwischen Leben und Tod
immer eine große Rolle spielte. Diesen biografischen Hintergrund
wollte Corbijn mit seiner Hinwendung zur Fotografie überwinden. Das
ist ihm nach eigenem Bekunden aber nicht wirklich gelungen. Heute
akzeptiert er diese Ernsthaftigkeit, die aber im kreativen Sinne dazu
geführt hat, dass seine Fotos >eine
tiefe Verletzlichkeit und große Vertrautheit (...) flüchtige,
vielschichtige und unendlich fesselnde Nuancen von Initimität<
ausstrahlen
(1). Als Fotograf und Regisseur
porträtiert Anton Corbijn seit bald 40 Jahren Musiker, Schauspieler,
Schriftsteller und Persönlichkeiten des Kulturlebens. Viele seiner
Bilder sind längst zu Ikonen geworden. Im Folgenden zeige ich Beispiele aus dem Ausstellungsteil 1-2-3-4 .
Hier präsentiert er seine Arbeiten aus der Musikwelt. Porträts und ganze Band-Studien entfalten sich hier.
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Rolling Stones |
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Herbert Grönemeyer |
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Nirwana |
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Tom Waits |
Blicke in den zweiten Ausstellungsteil Hollands Deep:
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Blicke in den Ausstellungsteil:
Hollands Deep: An einer gewaltigen Bildwand hat er 57
Portraitfotos von Künstlern wie Vanessa Paradise, Frank Zappa, Georg
Baselitz, Isabella Rossellini, Willem Dafoe, Marianne Faithfull,
Jonny Depp u.a. versammelt. Eine gigantische Galerie zur Geschichte
des Rock und Pop und der darstellenden und bildenden Künste.
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Ausschnitt von der Bildwand
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Während seiner Arbeit an der Serie
Star Trak erweiterte Corbijn
erstmals sein Bildpersonal um
interessante Menschen aus Film, Mode, Kunst, Wissenschaft und
Literatur.
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Links: Bernd und Hilla Becher, Rechts:
Kate Moss
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Linke Seite: Steven
Spielberg, David Lynch, Rechte Seite: Herbert Grönemeyer, Michael
Schumacher
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V.l.n.r.: Luc Tuymans, Lucian Freud,
Peter Doig, John Baldessari
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»Die
Wirklichkeit ist nun mal nicht perfekt....Ich lasse etwas Zufälliges,
Unperfektes zu, damit alles in der Schwebe bleibt. Denn es zeigt, wie
zerbrechlich wir sind.«
A.C.
Corbijn arbeitet fast nur schwarz-weiß
und bis heute meist analog auf Film. Erst jetzt beginnt er mit dem
Experiment, seine Negative zu scannen und digital zu bearbeiten. Der
Rechner ist dann für ihn die beste Dunkelkammer, die ein Fotograf
haben kann. Er kombiniert damit > das Beste aus beiden Welten<.
Für Anton Corbijn ist das Analoge im
Prozess des Fotografieren aber elementar geblieben. Zum Fotografieren
geht er raus und macht mit dem vorhandenen Tageslicht seine Bilder.
Erst beim Entwickeln erkennt er einige Tage später, was auf dem Film
tatsächlich vorhanden ist. Mit dieser Methode vermeidet Corbijn den
Versuch, ein Bild immer noch perfekter zu machen. Photoshop und die
Versuchungen der digitalen Fotografie sind ihm ein Greuel.
Manchmal steht der Porträtierte
außerhalb der klassischen Bildmitte. Die grobkörnigen monochromen Bilder wirken unscharf, manchmal etwas verwaschen. Dadurch entsteht
eine tiefe Melancholie. Das Unperfekte ist das stilistische
Markenzeichen seiner Fotokunst. Hierzu möchte ich folgendes Beispiel
zeigen:
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Linkes Bild: Peter Gabriel am Rande des Geschehens als eine verschwommene Figur am Ende einer kurvigen
Straße. Wohin führt sein Weg? Rechtes Bild: Die Bildikone mit Miles Davis
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»Die
Kamera hat mir den Weg ins Leben eröffnet «
A.C.
Corbijn wuchs auf einer Insel an der
niederländischen Küste auf. Sein Vater war Pfarrer und er ein
Einzelgänger, der sich mit Musik in die Welt hinausträumte.
Anton Corbijn nimmt mit 17 Jahren zum
ersten Mal eine Kamera in die Hand, um in Groningen die lokale
Musikgruppe Solution bei einem Konzert zu fotografieren. In
diesem Augenblick sei ihm klar geworden, dass er seine Insel
verlassen musste, um zu dieser magischen Welt zu gelangen.
In seiner Serie a.somebody greift Corbijn dieses Thema
der Flucht über die Fotografie in die Welt der Musik auf. Hierzu ein
Beispiel.
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Für
dieses Projekt a.somebody
kehrte er an seinen Geburtsort zurück. Mit Hilfe von Kleidung,
Perücken und Schminke verwandelt er sich zum Beispiel in Elvis
Presley (Bild. links) und Janis Joplin (Bild: rechts). Elvis Corbijn
steht mit seinen blendend weissen Stiefeln im Dreck inmitten eines
Schrottplatzes. Hierzu steht der lilafarbene Straßenkreuzer, der auf
einem der Container steht, in einem herrlichen Kontrast. In seiner
Hommage an Janis Joplin trägt er eine wallende Perücke und
Hippieoutfit und schaut durch rot-runde Brillengläser. Verstorbene
Musiker, die er sehr schätzte. Mit diesen Verwandlungen verarbeitet
er auch die frühen Prägungen seines protestantischen Elternhauses,
in dem die religiöse Beziehung zwischen Leben und Tod eine große
Rolle spielte. Indem er a.Presley und a. Joplin wird, zeigt er seine
Identifikation mit der internationalen Musikszene und dokumentiert
seinen fotografischen Fluchtweg aus dem isolierten Strijn in die
weite Welt. Dort sollte er letztendlich a.somebody werden.
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»Keiner
konnte damals ahnen, dass diese Bilder zu Ikonen werden«.
A.C. (2)
Dieses Zitat von Corbijn
bezieht sich auf das wohl berühmteste Foto von James Dean,
das ihn in am New Yorcker Times Square im Regen zeigt. Das gilt
sicherlich aber auch für Corbijns legendäres Miles-Davis-Foto,
aufgenommen 1985 in Montreal.
Corbijn war damals
für Davis ein unbekannter Fotograf von irgendeinem Musikmagazin.
Sechs Minuten wurden ihm für das Shooting gewährt, das in einem
Hotelzimmer stattfand.
Er bat Miles Davis
für sein Foto einmal das Gesicht mit seinen Händen zu
zerknautschen.
Diese spontane unter Zeitdruck
entstandene Inszenierungsidee bannte Corbijn fotografisch als einen
ungewöhnlich intensiven Moment persönlicher Authentizität.
Corbijn ist kein Freund von
Studioaufnahmen und ausgerechnet das Miles-Davis-Foto als eines der
untypischeren wurde so zur Ikone, das Corbijn es auch als Header für
die Ausstellungswerbung besonders herausstellt.
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In der
Retrospektive kann man das Miles-Davis-Bild gleich zweimal sehen.
Hier ist es als überlebensgroßer Ausschnitt, aufgezogen auf einer
Wand, die den Weg zur Ausstellung weist, zu sehen. Die Vergrößerung
betont die tellergroßen Pupillen des Jazzmusikers, in denen sich
Corbijns Silhouette spiegelt. Ein Bild, das gleichzeitig Porträt und
Selbstporträt ist, es zeigt den Meister in seiner Ikone.
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Zum 60. Geburtstag von Anton Corbijn
bespielt das C/O Berlin erstmals das ganze Haus mit 500 Fotos von
Miles Davis bis U2.
C/O Berlin zeigte die Ausstellung als
einzige Station in Deutschland.
Zu beiden Teilen der Retrospektive ist
jeweils ein eigener Katalog erschienen:
Hollands Deep bei Schirmer/Mosel
und 1-2-3-4 bei Prestel.
Hier noch einige Blicke in die
Ausstellung.
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Eingang zur Ausstellung 1-2-2-4 |
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Blick in den Ausstellungsteil: 1-2-3-4
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Blick in den Ausstellungsteil: Hollands
Deep
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Blick in den Ausstellungsteil: Hollands
Deep
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Anton Corbijn
wurde am 20. Mai 1955 als Sohn des
Pfarrers von Strijen geboren. In einem Interview bekannte
er, dass er tief protestantisch geprägt sei. Seine Fotografie
bezeichnet Corbijn als protestantisch.
Im Alter von neunzehn Jahren wurde er
freier Fotograf.
Bekannt wurde er mit seinen Fotos von
Popkünstlern und anderen Prominenten. Das erste Foto, das von ihm in
einem Musikmagazin abgedruckt wurde, stammt vom Auftritt der Band
Solution in Groningen 1972.
Darüber hinaus stammen
viele Plattencover aus der Hand von Corbijn, so zum
Beispiel von U2.
Mit den Bands Depeche Mode
und U2 ist Corbijn eng verbunden. Beide Bands begleitet er
bereits seit vielen Jahren als Art Director.
Corbijn führte Regie bei
zahlreichen Musikvideos. Für das Video zu Heart Shaped
Box der US-amerikanischen
Rockband Nirvana erhielt
er 1994 einen MTV-Award.
Am 10. Januar 2008 lief Corbijns erster
Spielfilm Control, der die Geschichte von Ian
Curtis, dem Sänger der Band Joy Division, erzählt, in
den deutschen Kinos an.
2012 wurde er in die Wettbewerbsjury
der 62. Internationalen Filmfestspiele von Berlin berufen.
In den letzten Jahren liegt sein Fokus
auf Spielfilmen. Als Regisseur von Control (2007), The
American (2010), A Most Wanted Man (2014) und Life
(2015) ist er weltweit bekannt geworden.
Anton Corbijn lebt in Den Haag und
arbeitet immer dort, wo es etwas zu fotografieren oder zu inszenieren
gibt. (3)
Ausstellung:
07/11/15 bis 31/01/16
Anton Corbijn . Retrospektive
Hollands Deep & 1-2-3-4
C/O Galerie in Berlin
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Die C/O Galerie in Berlin mit
Ausstellungsplakat
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(1) Quelle:
Ausstellungsbroschüre C/O Berlin
(2) Quelle: Art
12/15
(3) Quelle: Wikipedia
Weiterführende Links:
Sämtliche Fotos: Fred Tille
Obwohl meine Fotos im Rahmen der tagesaktuellen Berichterstattung nur allgemeine Ausstellungsansichten ohne explizite, detaillierte Werkfotos zeigen, bitte ich die Urheberrechte des Künstlers, Anton Corbijn, an seinen Werken zu beachten.