Nan Goldin, der US-amerikanischen Fotografin und Filmemacherin ist Berlin nicht unbekannt. Sie lebte seit Anfang der 90er für einige Jahre hier und ist nach eigenen Worten der Stadt 'weiter sehr verbunden.' Vor allem auch deshalb, weil ihre Arbeit in Berlin früher verstanden worden sei als in den USA. Zur Zeit weilt sie anlässlich der Auszeichnung mit dem Käthe-Kollwitz-Preis 2022 in Berlin. Goldin kündigte für das nächste Jahr eine Retrospektive ihrer Arbeiten in der Neuen Nationalgalerie Berlin an. Damit gehe für sie „ein Traum in Erfüllung“, sagte Goldin.
Aber auch das Berliner Kunstpublikum liebt die Fotografin. Noch am Abend der Preisverleihung bildete sich eine lange Warteschlange von Interessierten ohne Ticket vor dem Akademieeingang. Sie alle hofften noch einige Restkarten an der Kasse zu erhalten. Zuvor war der Andrang auf die Tickets so groß, dass im Saal der Akademie beide Parkette geöffnet werden mussten. Das ist eine bauliche Besonderheit der Akademie. Durch die beiden Parkette befindet sich die Bühne nicht frontal vor dem Publikum, sondern in der Mitte. Das Publikum sitzt davor und dahinter.
Hier der Blick vom kleinen auf das große Parkett. Die Bühne in der Mitte.
Mit der Preisverleihung und der angekündigten Retrospektive schließt sich für Goldin ein Lebenskreis in Berlin. In seiner Laudatio bezeichnet Klaus Biesenbach, der Direktor der Neuen Nationalgalerie Berlin, Goldin als eine der wichtigsten Künstlerinnen der zeitgenössischen Fotografie und als eine 'Berliner Weltbürgerin'.
Goldin und Berlin zum Ersten: Die Preisverleihung
Am Abend des 03.03.2023 wurde Goldin mit dem Käthe-Kollwitz-Preis 2022 der Akademie der Künste Berlin ausgezeichnet. Die Künstlerin wurde für ihre zentrale Position in der zeitgenössischen Fotografie gewürdigt.
Die Wahl fiel auch deshalb auf Goldin, weil Kollwitz und Goldin in ihren Werken viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Die Akademie-Präsidentin Jeanine Meerapfel betonte in ihren einführenden Worten, dass sich beide Künstlerinnen in ihrer Kunst dafür einsetzten, das Leben sozialer zu gestalten. Dabei gebe Goldin schon früh Randgruppen eine Stimme. Mit ihren Arbeiten aus ihrem persönlichen Lebensumfeld und der Community von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Intersexuellen und Queeren hat Goldin häufig Tabus gebrochen, Grenzen überwunden und sich für Akzeptanz und Anerkennung der Szene eingesetzt.
In ihrer Dankesrede geht sie sichtlich bewegt auf einige Stationen ihres Lebens ein. Dabei gewährt die Fotografin einen sehr persönlichen Einblick in ihr Leben. Sie berichtet vom Suizid ihrer acht Jahre älteren Schwester Barbara, der als ein Schlüsselereignis für ihr gesamtes Schaffen gilt und von ihrem Protest gegen die Familie Sackler, die mit ihrem Pharmakonzern in die Opioid-Epidemie zwischen 1999 und 2022 in den USA verwickelt war. Sie schließt ihre Dankesrede mit den Worten, die ich aus meinem Gedächtnis zitieren möchte:
„Amerika ist zerbrochen. Berlin ist mein Zuhause, eines der wenigen, die ich in meinem Leben gefunden habe. Hier habe ich einige meiner schönsten Tage verbracht. Und Nächte.“
Die Akademie-Präsidentin Jeanine Meerapfel (rechts) übergibt den Preis an Nan Goldin. In der Rückenansicht der Laudator, Klaus Biesenbach, der Leiter der Neuen Nationalgalerie Berlin |
Goldin und Berlin zum Zweiten: Die Ausstellung
Aus Anlass der Auszeichnung zeigt die Akademie noch bis zum 16. April 2023 eine Ausstellung mit rund 60 Fotografien. Gezeigt wird ein Querschnitt der Fotos Goldins aus ihren frühen Jahren bis in die Gegenwart. Die amerikanische Fotografin wurde in den Achtzigerjahren berühmt mit kühlen, oft wunderbar schroffen Bildern aus dem queeren Alltagsleben New Yorks. Aus ihrer berühmtesten Fotoserie Die Ballade von der sexuellen Abhängigkeit von 1986 werden ebenfalls einige Arbeiten gezeigt.
Im Eingangsbereich der Ausstellung |
Goldin trennte sich frühzeitig von den traditionellen Vorstellungen eines „guten Bildes“ mitsamt Zentralfigur, Vorder- und Hintergrundgestaltung, Ausleuchtung und Fokus. Sie entwickelte ihre eigene lässig wirkende und uninszenierte authentische Arbeitsweise. Soviel ich weiß, arbeitet sie bis heute analog und würde sie digital fotografieren, wäre ihr die Zuhilfenahme von Photoshop mit Sicherheit ein unvorstellbares Gräuel. Ihre Bilder sind geprägt von einer schonungslosen Direktheit, die auch vor intimen Momenten nicht zurückschreckt. Und sie scheut sich auch nicht, sich selbst in aller Offenheit und Rücksichtslosigkeit ins Bild zu setzen.
Brian and Nan in bed, NYC 1983
"Nachdem ich zusammengeschlagen worden war, teilte ich alles in ein Vorher und Nachher ein" Damit spielt Goldin wohl auf ihr bekanntestes Foto aus der Serie von The Ballad of Sexual Dependency, Nan after being battered, 1983 an. Es zeigt sie selbst, schwer verprügelt von ihrem Freund Brian. Mit geschwollenen, blau geschlagenen und schwerverletzten Augen schaut sie in die Kamera. (link zum Foto aus der Sammlung des MOCA). Dieses Foto ist das Nachher, das untrennbar korrespondiert mit dem Vorher-Foto Brian and Nan in bed. Das Foto Nan after being battered ist das Dokument der Erkenntnis ihrer Abhängigkeit und der daraus folgenden Trennung von Brian.
Als international anerkannte und berühmte Fotografin hat Goldin allerdings ein widersprüchliches Verhältnis zur Fotografie als Kunstform. Fotografie war für sie mehr ein Weg, um einen Zugang zu Menschen und zu sich selbst zu finden. Zwei Selbstzeugnisse möchte ich als Beispiele für ihre künstlerische Antriebskraft anführen.
„Jedes Mal, wenn ich etwas Beängstigendes, Traumatisches erfahre, überlebe ich, indem ich fotografiere.“
„Ich habe angefangen zu fotografieren, weil ich Filme machen wollte. Und vielleicht liegt ein Teil meines Erfolgs darin, dass ich mich nie für Fotografie interessiert habe. Ich habe einen Weg gefunden, Filme zu machen, indem ich Standbilder zusammenfügte. Das sind meine Filme.“
Über den Käthe-Kollwitz-Preis
„Der Käthe-Kollwitz-Preis ist ein in Deutschland vergebener und nach der Künstlerin Käthe Kollwitz benannter Kunstpreis. Der 1960 von der damaligen Akademie der Künste der Deutschen Demokratischen Republik gestiftete Preis wird jährlich von der Akademie der Künste (Berlin) an einen bildenden Künstler vergeben, der damit für ein Werk oder sein Gesamtschaffen geehrt wird. Den Preis vergibt eine Jury, deren Mitglieder jedes Jahr neu bestimmt werden. Mit der Auszeichnung ist auch eine Ausstellung im Gebäude der Akademie verbunden. Seit 1992 wird das Preisgeld in der Höhe von 12.000 Euro (Stand 2020) von der Kreissparkasse Köln, der Trägerin des Käthe-Kollwitz-Museums in Köln, mitfinanziert.“ (1)
(1) Quelle: Wikipedia
Sämtliche Fotos: Fred Tille
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Käthe-Kollwitz-Preis 2022. Nan Goldin | Akademie der Künste Berlin
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