Eigentlich wollte Venet so lange nicht wieder nach Berlin kommen, wie die umstehenden Bäume den freien Blick auf seine Skulptur Arc de 124,5°“ oder Bogen von 124,5° an der Urania in Berlin-Schöneberg behindern.
In diesem Jahr hat es sich der französische Bildhauer und Konzeptkünstler anders überlegt. Anlässlich der Eröffnung der bisher größten und umfangreichsten Retrospektive (29.01.-30.05.2022) von über 150 seiner Werke in den großen Hangars 2 und 3 des ehemaligen Berliner Flughafens Tempelhof erschien Venet persönlich und brachte in einer Performance eine Kette von Stahlbögen mit einem Gewicht von über 30 Tonnen unter ohrenbetäubendem Lärm zum Einsturz. Hier ein Video von der Performance, das auf der Original-Website des Veranstalters zu sehen ist. Mit dem Titel: BERNAR VENET - Domino Collapse | Kunsthalle Berlin - Flughafen Tempelhof.
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Die Skulptur Arc de 124,5° oder Bogen von 124,5° an der Urania in Berlin-Schöneberg
Kunst oder Baum? - Das ist hier die Frage.
Das Problem für Venet besteht nun darin, dass im Sommer von den üppig belaubten Bäumen auf dem Grünstreifen der Blick auf den Bogen größtenteils verdeckt ist. Die Skulptur fällt mittlerweile nur noch ins Auge, wenn man ganz genau hinschaut. Das möchte der Künstler ändern und hat sich deshalb an die Berliner Senatskanzlei gewandt. Venet fordert die Fällung der Platanen und bietet Ausgleichspflanzungen an. Natur gerät ausnahmsweise mal nicht mit Wirtschaftsinteressen, sondern mit der Kunst aneinander. Doch hier geriet Venet in die Mühlen der Berliner Verwaltung. Denn in Berlin ist die Verwaltung in den Zuständigkeiten zweigeteilt. Der Senat landesweit auf der einen und die Bezirke regional auf der anderen Seite. In diesem Verhältnis kommt es sehr häufig zu Konflikten.
Im Sommer 2022 mit belaubten Bäumen aufgenommen, zeigt das Foto deutlich die Sichtbehinderungen auf die Skulptur |
Ein heftiger Streit entbrennt.
Auf die Einzelheiten dieser Debatten möchte ich nicht näher eingehen. Das wäre in Bezug auf das Kernthema meines Blogbeitrags zu kleinteilig. Deshalb nur soviel:
Für die Bäume ist der Bezirk und nicht der Senat zuständig. Es erfolgte zwar auf Bezirksebene gegen die Stimmen von Grünen und Linken ein Beschluss, dass bis zu sieben Platanen und eine Linde fallen sollen, um das Kunstwerk des französischen Künstlers Bernar Venet besser sichtbar zu machen. Aber der heftige Streit ging weiter und gipfelte in der Frage: Darf man im Jahr 2019, im zweiten Hitzesommer in Folge und angesichts der aktuellen Sorgen um das Weltklima, tatsächlich noch auf die Idee kommen, Hand an auch nur einen einzigen Baum zu legen?
Das Vorhaben wurde vorerst gestoppt. Die Platanen bleiben erst mal stehen. Der Konflikt ließe sich ohne Motorsäge im Gespräch mit Venet eventuell entschärfen, indem man die Skulptur woanders mit freiem Blickfeld aufstellt, wo sie besser zur Geltung kommt.
Was ist von dem Vorhaben und Venets Wünschen noch übrig?
Übrig ist ein gesteigertes Interesse daran, wie wir mit vernachlässigter Kunst umgehen, lautet ein Statement der Politik. Das darf stark bezweifelt werden. Angesichts der zahlreichen lieblos behandelten öffentlichen Skulpturen in Berlin ist es hochgradig wahrscheinlich, dass man Venets Bogen im üblichen Berlin-Style für den Umgang mit Kunst im öffentlichen Raum einfach still und leise weiter vergammeln lässt.
Vielleicht hat Venet aber die für ihn konzipierte und bislang umfangreichste Werkschau weltweit etwas mit Berlin versöhnt.
(1) Quelle: Mathematischer Ort des Monats August 2018 / „Arc de 124,5°“ an der Urania in Berlin-Schöneberg von Iris Grötschel aus der Website von Berliner Mathematische Gesellschaft e.V.
Weiterführende Links:
Bernar Venet im Interview und bei der Arbeit. Ein Beitrag der Deutschen Welle (DW) auf youtube.
Infos zur Urania in Berlin-Schöneberg auf deren Original-Website
Sämtliche Fotos: Fred Tille