Privater Kunstblog zum Thema:

Künstlerisches Handeln in Zeiten globaler Umbrüche


Die Welt von heute scheint aus den Fugen geraten. Sie ist durch große Unsicherheit, Unübersichtlichkeit und Fragilität, Krieg und Flucht, Terror und Gewalt geprägt. Damit ist die Entwicklung unserer zukünftigen Lebenswelten wieder zu einem bedeutsamen Schwerpunkt in der Kunst geworden. Auch die Erkenntnisse und Prognosen der Techniksoziologie und der Zukunftsphilosophie werden zunehmend als Gegenstand der Kunst entdeckt. Die bildende Kunst, das Theater, die Literatur und der Film reagieren darauf auf unterschiedliche Art und Weise. Mich beschäftigt die Frage, wie kann sich der Künstler, der ja Teil dieser Entwicklungen ist, den sich daraus ergebenden existentiellen Herausforderungen sinnvoll nähern? In diesem Zusammenhang möchte ich meine Bilder aus der Zeit um 5 nach 12 in lockerer Folge vorstellen. Texte zu den globalen Auswirkungen des westlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems ergänzen diese bildlichen Darstellungen. Über Reaktionen von Künstlern, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen, würde ich mich freuen.


Donnerstag, 17. Februar 2022

Auch das noch! Kollege Roboter als Maler! KI in der Malerei | Drei Beispiele | Teil 2

Beispiel 2: e-David – Ein Projekt der Universität Konstanz

Beim letzten mal hatte ich Euch den Malroboter AI-DA vorgestellt. Heute berichte ich über seinen Malerkollegen e-David. Im Gegensatz zu Aida, der menschelnd daherkommt, leugnet e-David seine maschinelle Herkunft nicht. e-David ist ein gewöhnlicher Schweißroboter, wie er normalerweise zur Herstellung von Autos verwendet wird, der aber in einem Projekt an der Universität Konstanz zu einem malenden Roboter umfunktioniert wurde. Konzipiert wurde das Projekt e-David von Oliver Deussen, Professor für Visual Computing und seinen wissenschaftlichen Mitarbeitern Marvin Gülzow und Thomas Lindemeier. David ist die Abkürzung für Drawing Apparatus for Vivid Image Display. Diesem Apparat zum Malen von lebendig wirkenden Bildern wollen die Wissenschaftler beibringen alle Aspekte einer künstlerischen Gestaltung im Malprozess zu produzieren.



Wie funktioniert e-David ?


Damit der Roboter lebendig wirkende Bilder malen kann, wurde der Schweißroboter mit mehreren Kameras und einem Steuerrechner gekoppelt. Ein Computerprogramm gibt dem Roboter vor, welche Pinselstriche er machen soll und überwacht, was auf der Leinwand erscheint.  

Im folgenden Video könnt ihr beobachten wie David ein Selbstportrait malt.


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Informatiker Thomas Lindemeier, einer der Entwickler an der Universität Konstanz, befestigt einen Pinsel am Roboterarm. Und schon legt der Roboter los. Behutsam streicht e-David den Pinsel über die Leinwand, tunkt ihn in einen Wasserbehälter, um den Pinsel zu waschen, ehe er zum nächsten Farbtopf wechselt und weiter malt.

Als Vorlage dient e-David eine x-beliebige Fotografie, eingescannt, vom Handy oder aus dem Netz. Eine an der Wand installierte Kamera schießt nun alle paar Minuten ein Foto der Leinwand und gleicht sie mit dem Vorlagenbild ab. Die Kombination aus Vorlagenbild und Leinwand gibt e-David die nötigen Impulse, um den Pinsel an der richtigen Stelle anzusetzen. Weltweit gebe es zwar verschiedene Malroboter, doch keiner sei laut Lindemeier so intelligent wie David

"Andere Malroboter malen nach einem fix vorprogrammierten Ablauf, bei dem jeder Pinselstrich bereits eingeplant wird, sie drucken das Bild quasi nur aus", sagt Lindemeier. "Unser Roboter dagegen überwacht sich mit Kameras selbst und entwickelt so eine eigene Ästhetik."

Würde e-David zweimal das gleiche Foto als Vorlage verwenden, das gemalte Bild würde am Ende unterschiedlich aussehen, weil der Weg zum fertigen Bild nicht programmiert ist. Tatsächlich haben die Gemälde eine ganz eigene Ästhetik. Im folgenden Video e-David - a Painting Robot könnt ihr beobachten wie und nach welchen Prinzipien David malt.


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Ob diese visuelle Rückkoppelung und gewisse Momente des Kontrollverlusts immer noch ein absolutes Alleinstellungsmerkmal von e-David ist, sei zunächst dahingestellt. Auch der Malroboter AI-DA ist im Produktionsprozess selbständig ohne direkte Mitarbeit und Weiterbearbeitung durch den Menschen maschinell künstlerisch kreativ. 

In Verbindung mit der Verarbeitung der digitalen Eingabedaten und den über die Kameraaugen aufgenommenen und gescannten Rauminformationen entsprechen bei AI-DA im Abgleich mit der Programmierung die Ausgabedaten daher nicht immer und unbedingt den Eingabedaten. Es entsteht auch bei AI-DA ein Interpretationskorridor. Was aber auf jeden Fall ein Alleinstellungsmerkmal von e-David ist, ist die direkte Kooperation mit der Künstlerin Liat Grayver. 


Der Roboter arbeitet mit mir, nicht für mich“ 


Die Medienkünstlerin und Malerin Liat Grayver und e-David bringen Malerei und digitale Technologie zusammen.

Normalerweise ist ein Computer mit seinen präzisen Programmanweisungen ganz deterministisch angelegt. Er arbeitet nach klaren Vorgaben. Bei dieser Mensch-Maschine-Kooperation geht es nun allerdings darum, dem Computer Freiheiten einzuräumen, um auch selbst Entscheidungen treffen zu können. Außerdem wurden von den Entwicklern und Grayver Momente des Kontrollverlusts z. B. durch die Materialwahl vorgesehen: 

Für die Aufzeichnung habe ich Reispapier gewählt, ein sehr dünnes Papier, das die Farbe aufsaugt. Auf diese Weise arbeitet die Materie unkontrollierbar weiter, es entstehen Überlagerungen von Farbe und Wasserverläufe“,

erklärt Malerin und Medienkünstlerin Grayver. Durch die permanente visuelle Rückkoppelung in Verbindung mit dem Prinzip von Machine Learning lernt der Malroboter gewisse Regelmäßigkeiten in der Unregelmäßigkeit zu erkennen und darauf zu reagieren.

Im folgenden Video Brushstroke in the digital age wird exemplarisch sehr gut das Collaborating zwischen Entwickler, Künstlerin und e-David dargestellt (in englischer Sprache).


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Betrachter würden nicht denken, dass die Bilder, die so entstehen, von einer Maschine geschaffen wurden“, sagt Grayver. 


Grayver beschäftigt sich seit Oktober 2018 mit dem Projekt „Human-Machine: Interaction as a Neutral Base for a New Artistic and Creative Practice.“

Ihr bisheriges Collaborating mit e-David beurteilt sie positiv: 

 Die Entwicklung einer neuen Technik, wie eines malenden Roboters, eröffnet mir eine bislang in diesem Maße nicht gekannte künstlerische Freiheit.“


In ihrer Ausstellung (Learning) The Grammar of the Act in der Bibliothek der Universität Konstanz zeigt Grayver, wie sich Malerei und Technik auch in der Praxis zusammen bringen lassen. Der Roboter zeichnet in dieser Ausstellung die Bewegungen der Menschen nach, die die Bibliothek der Universität Konstanz im Seitentrakt betreten. Das Ergebnis: Expressionistisch anmutende Gemälde.

Das folgende Video zeigt anschaulich e-David bei der Arbeit im Rahmen der Ausstellung (Learning) The Grammar of the Act.


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Was wird mit dem Projekt e-David beabsichtigt?

Den Entwicklern geht es nicht nur darum, ein Bild stumpf 1:1 abzumalen. Sie wollen entschieden mehr. Die Forscher möchten ihren Roboter befähigen, einen völlig neuen Raum für künstlerische Möglichkeiten sowohl auf der semantischen als auch der technischen Ebene zu schaffen. Bis es soweit sein könnte, sind aber noch sehr viele Hürden zu überwinden.  

Bereits im jetzigen Stadium mussten auf technischer Ebene unglaublich umfangreiche Algorithmen entwickelt werden, die möglichst präzise den malerischen Eigenschaften menschlicher Maler in der realen Welt entsprechen. Wie können beispielsweise verschiedene Farben auf der Leinwand oder auf der Palette gemischt werden? Wie soll die Größe des Pinsels eingestellt werden und wann muss Glasur hinzugefügt werden?

 

Interface #4, Fred Tille, Digitale Collage

Auf der semantischen Ebene wird es ungleich komplexer. Ich habe die Entwickler in der Projektbeschreibung so verstanden, das sie damit eine möglichst vollständige und wirklichkeitsgetreue Abbildung der Realität mit den Werkzeugen der Informatik anstreben. Übertragen auf die Informatik würde das bedeuten, dass der semantische Aspekt einer Information von Zeichen und deren Anordnung abhängt. Das wiederum führt zu folgenden Fragestellungen:

Wann und warum sollte eine semantische Methode zur Definition des Objekts im Bild verwendet werden? Ist es ein Vorteil oder ein Nachteil, semantische Objekte zu malen, ohne bereits ein kognitives Verständnis dafür zu haben? 

Insgesamt sind die Entwickler schon sehr weit gekommen. Durch das Prinzip der visuellen Rückkoppelung halten sie quasi Rücksprache mit David. Sie diskutieren, wie sie zu dem aktuellen Gemälde gekommen sind und heben die bisher festgestellten Stärken und Schwächen sowie Pläne für zukünftige Erweiterungen hervor. Dadurch erweitern sie das Verständnis für tiefes Lernen, künstliche Intelligenz und Roboterkreativität enorm. Das Mensch/Maschine Collaborating erkundete weitere Möglichkeiten, den Malroboter kreativ zu nutzen und reflektierte Ideen darüber zu entwickeln, wie diese in Form von Software und Hardware implementiert werden könnten. 

Auf diese Art und Weise könnten maschinengestützte kreative Schnittstellen innerhalb des breiteren Feldes der Medienkunst und der Malerei entwickelt werden, die dann Künstlern als Plattform offenstehen könnten. In Verbindung mit Collaborating - wie z.B. durch Grayver praktiziert – würden Malroboter auch kreativ für die Produktion von Kunstwerken genutzt werden können.

Interface #1, Fred Tille, Digitale Collage

Fazit e-David: Autonome Kunstwerke mit Algorithmenvorgabe in Verbindung mit visueller Rückkoppelung und menschlichen Eingriffen zur Optimierung.

Nach der Wunschvorstellung der Informatiker soll eDavid befähigt werden, einen völlig neuen Raum für künstlerische Möglichkeiten zu schaffen. Im Idealfall, so hoffen die Forscher, kann e-David irgendwann also nicht nur Bilder reproduzieren, sondern darüber hinaus neue, sich durch die Möglichkeiten der Maschine ergebende Mal-Techniken entwickeln. Durch seine im Programm vorgesehene permanente Selbstverbesserung in Verbindung mit menschlichem Collaborating kommt e-David zu erstaunlichen Ergebnissen. Lindemeier sieht aber auch, dass 

"der Computer diesen Raum zuerst verstehen [müsste], um daraus einen neuen Raum des Möglichen zu machen. Da gebe es im Bereich maschinellen Lernens und künstlicher Intelligenz noch viele Hürden."


Dem ist nichts hinzuzufügen. Mit seinen bisherigen malerischen Fähigkeiten hat es e-David mit seinem Werk homage to Jackson Pollock immerhin geschafft, im robotart Wettbewerb von 2017 den 4. Platz zu machen und damit $6000 zu gewinnen.

Auf jeden Fall kann er nach meinem Empfinden besser mit Pinsel und Farbe umgehen als sein Malerkollege AI-DA .

Hier noch das passende Video: e-David - homage to Jackson Pollock



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Der Bau und die Weiterentwicklung von e-David bringt noch viele Herausforderungen in den Bereichen Engineering, Robotik, Computergrafik und Computerdesign und vor allem Computer-Vision mit sich. Unter Computer Vision verstehe ich in Bezug auf die Weiterentwicklung von Malrobotern einen wissenschaftlichen Grenzbereich zwischen Informatik und den Ingenieurwissenschaften, in dem versucht wird die von Kameras aufgenommenen Bilder auf unterschiedlichste Art und Weise zu verarbeiten und zu analysieren, um deren Inhalt zu verstehen.

Und damit komme ich zu den weiteren Beispielen, die ich Euch in der Fortsetzung meiner Miniserie vorstellen möchte.  

Mein nächster Post mit Beispiel 3 zeigt eine weitere Version: KI ist meine neue Muse. Der Rechner als Partner des Malers.



 

Weiterführende Links zu e-David :

e-David.A painting process. (In englischer Sprache)

Original-Website der Universität Konstanz über das Projekt mit Videos und artworks.

Künstliche Intelligenz: David, der Kunst-Roboter

Artikel im Tagblatt (CH) mit Fotos und Projektbeschreibung von den Entwicklern Lindemeier und Gülzow  

e-David: Roboter als Kunstmaler

Ein kurzer Artikel in computerbild mit 12 Gemälden und Zeichnungen von eDavid.

Der YouTube Channel von eDavid. (In englischer Sprache)

Zusammenstellung der Projektvideos.

Die Original - Website von Liat Grayver (In englischer Sprache)

Der Pinselstrich im digitalen Zeitalter

Aktuellste Mitteilung zum Projektstand. Ausstellung „InComputable Imagery“ von Medienkünstlerin Liat Grayver und Malroboter e-David ab dem 5. November 2021 in Konstanz.  

Kann Künstliche Intelligenz kreativ sein?

Überblickartige Zusammenfassung vieler Hauptgesichtspunkte aus der Sicht der Kreativbranche. 

Künstliche Intelligenz Vs. Mensch – Sind Wir Ersetzbar?

Wie können wir uns gegenüber künstlicher Intelligenz abgrenzen?

Kann KI Bewusstsein entwickeln?

Wie Künstliche Intelligenz Content erstellt.

Künstliche Intelligenz und Bewusstsein

Lässt sich Bewusstsein nachbilden?


Eine etwas kindlich aufgemachte Website zur robotart, aber mit guten Beispielen zur aktuellen Werkproduktion von Malrobotern.  

Sämtliche Fotos, wenn nicht anders gekennzeichnet, Fred Tille.