Privater Kunstblog zum Thema:

Künstlerisches Handeln in Zeiten globaler Umbrüche


Die Welt von heute scheint aus den Fugen geraten. Sie ist durch große Unsicherheit, Unübersichtlichkeit und Fragilität, Krieg und Flucht, Terror und Gewalt geprägt. Damit ist die Entwicklung unserer zukünftigen Lebenswelten wieder zu einem bedeutsamen Schwerpunkt in der Kunst geworden. Auch die Erkenntnisse und Prognosen der Techniksoziologie und der Zukunftsphilosophie werden zunehmend als Gegenstand der Kunst entdeckt. Die bildende Kunst, das Theater, die Literatur und der Film reagieren darauf auf unterschiedliche Art und Weise. Mich beschäftigt die Frage, wie kann sich der Künstler, der ja Teil dieser Entwicklungen ist, den sich daraus ergebenden existentiellen Herausforderungen sinnvoll nähern? In diesem Zusammenhang möchte ich meine Bilder aus der Zeit um 5 nach 12 in lockerer Folge vorstellen. Texte zu den globalen Auswirkungen des westlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems ergänzen diese bildlichen Darstellungen. Über Reaktionen von Künstlern, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen, würde ich mich freuen.


Freitag, 31. Juli 2015

The Smoking Kid | Katharina Grosse in Berlin

Zum Gallery Weekend Berlin vom 01.- bis 03. Mai 2015 eröffnete die König Galerie mit einer Ausstellung von Katharina Grosse ihre neuen Räumlichkeiten in der umgebauten St. Agnes Kirche in Berlin-Kreuzberg. 

Katharina Grosse in Berlin. Blick in die Ausstellungshalle der 
KÖNIG GALERIE | St. Agnes.
The Smoking Kid
© Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn, 2015
Courtesy of the artist and König Galerie

Kunst mit Glockenturm


Die Galeristen Johann und Lena König haben nach dem Erwerb vom Erzbistum Berlin im Jahr 2012 durch die ST. AGNES GmbH den denkmalgeschützten Gebäudekomplex einer neuen Nutzung zugeführt. Kernstück des Umbaus ist die ehemalige Kirche mit Kapelle und Turm, die zu einer wahren Kathedrale der Kunst geworden ist.

Der Turm von St. Agnes mit daran anschließender Kapelle

Durch diesen unscheinbaren Eingang im Turm (linkes Foto) gelangt der Besucher über eine Treppe in den ersten Stock. Von dort betritt man die riesige Ausstellungshalle (s. nächstes Bild).

Der umgebaute große Kirchenraum. Spektakuläre Größe: Länge: 35 Meter, Breite: 12 Meter, Höhe: 15 Meter auf einer Fläche von 800 m². 
Eine Kathedrale der Kunst ist entstanden.
The Smoking Kid
© Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn, 2015
Courtesy of the artist and König Galerie

Die Lage dieser neuen Ausstellungshalle ist absolut ideal. Sie befindet sich in der geografischen Mitte Berlins im Bezirk Kreuzberg im Quartier der südlichen Friedrichstadt mit Berlinischer Galerie und Jüdischem Museum, mit dem Zeitungsviertel, einem Atelier- und Veranstaltungshaus und einem Galerienhaus, um nur die wichtigsten zu nennen. An diesem Gallery Weekend führte an der Eröffnung der ehemaligen Kreuzberger Kirche als Megagalerie kein Weg vorbei. Die Kunstinteressierten stürmten die Großgalerie regelrecht und besichtigten die neuen Räumlichkeiten mit den Werken von Katharina Grosse.

Katharina Grosse, 1961 in Freiburg im Breisgau geboren, lebt und arbeitet in Berlin. Ihre Arbeiten finden internationale Aufmerksamkeit und Anerkennung in zahlreichen Gruppenausstellungen und Biennalen. Katharina Grosse ist ständiges Mitglied der Akademie der Künste, Berlin und seit 2010 Professorin für Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf. Aktuell ist sie auch mit einem Beitrag auf der Biennale di Venezia 2015 vertreten.

The Smoking Kid


Unter dem Titel The Smoking Kid zeigt Grosse sechs großformatige, in Sprühtechnik hergestellte aktuelle Leinwandarbeiten. Ihre riesigen in raumgreifender Farbigkeit ausgeführten Bilder stehen im Kontrast zu der reduzierten, grauen Architektur im Stil des Brutalismus. „Das Making-of der Werke ist für den Betrachter kaum mehr logisch nachvollziehbar. Vielmehr zeigen sich in der Fläche oder auch zwischen den Bildschichten ‚Risse‘ und ‚Brüche‘, die die Wahrnehmung irritieren und Fragen nach dem strukturellen Zusammenhang zwischen den wie disparat ins Bild gesetzten Elementen provozieren“ (Quelle: Barbara Buchmaier, zitiert nach Website der GALERIE KÖNIG | St. Agnes). Einzelansichten dieser eindrucksvollen Arbeiten sind auf der Website der GALERIE KÖNIG | St. Agnes  zu sehen.

Blick in die Ausstellung.
The Smoking Kid
© Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn, 2015
Courtesy of the artist and König Galerie

Die einzelnen Werke tragen keine Titel. Im Gegensatz dazu sind ihre assoziationsreichen Ausstellungstitel typisch für Grosse. So war auch der Titel einer Münchner Ausstellung Cool Puppen einem Graffiti entnommen, das die Künstlerin aus dem Augenwinkel irgendwo auf einer Wand gelesen hatte. Sie übernahm den sinnlosen Spruch. Trotz der Vorliebe für narrative Ausstellungstitel, in denen Sehnsucht nach einer Vorstellungswelt anklingt, kommen ihre Arbeiten ohne Symbole, Verweise und Dokumente aus.

Das begehbare Bild als Erweiterung der Malerei


Für Katharina Grosse hat Malerei keine Grenzen und ihre Arbeiten folgen keinen gestalterischen Grundsätzen von Figur und Grund, beschäftigen sich aber mit Fragen der Wahrnehmung und Irritation beim Betrachter. Grosse will das Verhältnis von Farbe und Malgrund radikal neu definieren und diese subjektive malerische Radikalität versteht Grosse durchaus als politisches Element ihrer Arbeit.
Katharina Grosse lässt Farbe möglichst eigenmächtig expandieren und bringt sie auch auf Gründe wie Erde und Pflanzen, Möbel, Kleidung und Architektur auf. Diese Aneignung und Eröffnung von zusätzlichen Räumen durch die Farbe wird als die Befreiung der Farbe aus der Einengung in die Zweidimensionalität des klassischen Tafelbildes gefeiert. Die befreite Farbe entgrenzt sich endgültig in einem hierarchiefreien, chaotischen Raum.
Damit erweitert Katharina Grosse die Malerei. Ihre vielfarbige Giga-Installation Inside the Speaker 2014/2015 im Düsseldorfer Kunstpalast ist hierfür ein anschauliches Beispiel. Hier hatte sie 40 Kubikmeter Erde, 560 Meter laufende Stoffbahnen in einer Breite von fünf Metern und 350 Europaletten zu einem Gesamtkunstwerk verarbeitet.
Diese Installation war nicht nur zum Ansehen da, sondern man durfte sie auch durchwandern, also gleichsam das "Bild" betreten und das Kunstwerk zu Fuß erkunden. Am Ende wurde das begehbare Tableau recycelt. Dass die meisten Installationen dieser Art ein Verfallsdatum haben und nach rund fünf Wochen verschwinden, berührt die Künstlerin nicht weiter: "Das ist gut so, dann können neue Ideen einziehen."

Blick in die Ausstellung.
The Smoking Kid
© Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn, 2015
Courtesy of the artist and König Galerie

Was kommt nach der Befreiung der Farbe?


Die Farbe ist das wichtigste Element in der Kunst von Katharina Grosse. „Ich kann im Denken grenzenlos sein, alles ist möglich“, sagt Grosse. Ein bestimmtes Ziel hat sie zwar nicht, sie selbst ist auch ständig auf der Suche. Einfach weiterentwickeln möchte sie sich - "und etwas ganz Tolles machen in der Malerei... Ich glaube, es fängt erst an." Diese Worte formulierte Grosse in einem
Interview 2005 (Quelle: art-9/05). Inzwischen sind fast zehn Jahre vergangen und die Farbe ist immer noch das wichtigste Element in der Kunst von Katharina Grosse. Ein langer Anfang. Das birgt in sich - unabhängig von der hohen künstlerischen Qualität ihrer Arbeiten - die Gefahr einer Wiederholungsstarre, einer Ansatzerschöpfung und einer gewissen Inhaltsneutralität. Damit befindet sie sich in prominenter Gesellschaft. Auch Georg Baselitz, der im Prinzip seit 1969 seine Bilder verkehrt herum malt, hat so für sein malerisches Werk einen einzigartigen Wiedererkennungswert geschaffen. Dieses Prinzip der Sujetumkehr ist zu seinem Markenzeichen geworden ähnlich wie bei Katharina Grosse die Befreiung der Farbe. Mit ihren „Markenzeichen“ sind Baselitz und Grosse übrigens mit Beiträgen auf der Biennale di Venezia 2015 vertreten. Dazu mehr in meinem nächsten Post.
So hat Grosse für die 56. Venedig Biennale unter dem Titel Untitled Trumpet eine riesige begehbare Malerei/Installation in den Arsenale - Hallen realisiert. Wie lässt sich Grosses Untitled Trumpet mit dem diesjährigen Leitthema der Biennale All The World’s Futures interpretieren? Um der Künstlerin gerecht zu werden eigentlich nur dadurch, dass jeder Betrachter seine Assoziationen zum Kunstwerk im Dialog mit dem Rahmenthema abgleicht.
Für viele vom Rundgang durch die internationale Ausstellung erschöpfte Besucher ist die Farbinsel einfach ein willkommener Ort der Erholung und Kontemplation. Andere sehen All The World’s Futures durchschimmern, indem sie Schutthaufen, Zerstörung, Krieg und Leichentücher assoziieren. Oder verweist Untitled Trumpet nach all der Weltrettungskunst und zentraler Marx-Lesung aus dem „Kapital“ nur auf pure Ästhetik als Gegenpart zur Politkunst? Anything goes!
Hauptsache die Farbe ist frei!

Katharina Grosse mit der Installation UNTITLED TRUMPET 
in den Arsenale-Hallen der 
Biennale di Venezia 2015. Detailansicht. Foto: Fred Tille
© Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn, 2015

Die Ausstellung The Smoking Kid  fand vom 02. Mai bis 21. Juni 2015 in der KÖNIG GALERIE | St. Agnes statt.

Sämtliche Fotos: Fred Tille

Die Veröffentlichung der Ausstellungsansichten zu The Smoking Kid erfolgte mit freundlicher Genehmigung der KÖNIG GALERIE | St. Agnes

Weiterführende Links: