Privater Kunstblog zum Thema:

Künstlerisches Handeln in Zeiten globaler Umbrüche


Die Welt von heute scheint aus den Fugen geraten. Sie ist durch große Unsicherheit, Unübersichtlichkeit und Fragilität, Krieg und Flucht, Terror und Gewalt geprägt. Damit ist die Entwicklung unserer zukünftigen Lebenswelten wieder zu einem bedeutsamen Schwerpunkt in der Kunst geworden. Auch die Erkenntnisse und Prognosen der Techniksoziologie und der Zukunftsphilosophie werden zunehmend als Gegenstand der Kunst entdeckt. Die bildende Kunst, das Theater, die Literatur und der Film reagieren darauf auf unterschiedliche Art und Weise. Mich beschäftigt die Frage, wie kann sich der Künstler, der ja Teil dieser Entwicklungen ist, den sich daraus ergebenden existentiellen Herausforderungen sinnvoll nähern? In diesem Zusammenhang möchte ich meine Bilder aus der Zeit um 5 nach 12 in lockerer Folge vorstellen. Texte zu den globalen Auswirkungen des westlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems ergänzen diese bildlichen Darstellungen. Über Reaktionen von Künstlern, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen, würde ich mich freuen.


Donnerstag, 30. Oktober 2014

Chromos goo bugly | Daniel Richter in Innsbruck


Die Galerie im Taxispalais zeigt vom 13. September bis 23. November 2014 die erste österreichische Überblicksausstellung des Malers Daniel Richter(*1962 in Eutin), der zu den wichtigsten  deutschen Künstlern seiner Generation zählt. Richters Werk spiegelt nicht nur den fundamentalen Wandel wider, den das Medium Malerei erfahren hat, seine Bilder bestechen auch durch ihre sinnlich wie intellektuell anspielungsreichen, verschlungenen Interpretationen und Analysen von Kunst und Gesellschaft. Die Werkschau präsentiert Daniel Richters künstlerisches Schaffen seit der Jahrtausendwende und konzentriert sich damit auf seine figürlichen Werke. Unter den 23 in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler ausgewählten Bildern befinden sich Hauptwerke aus den vergangenen 14 Jahren ebenso wie neue Arbeiten, die hier erstmals gezeigt werden. Anhand wichtiger Meilensteine seiner künstlerischen Entwicklung spannt die Ausstellung den Bogen von Richters ersten figurativen Gemälden bis in die Gegenwart und veranschaulicht so dessen thematischen wie stilistischen Werdegang. (Quelle: Pressemitteilung Taxispalais)

Eingangsportal vom Taxispalais mit Werbebannern



 

Kunst und Leben 


Auf dem Weg in die Ausstellung begegnete ich dem Protest einer kurdischen Aktivistengruppe, der sich gegen den Terror der Milizen des IS wandte. Mitten auf der belebten Maria - Theresien - Straße hatten sie einen Infostand aufgebaut. Eine Aktivistin hielt ein handgemaltes Transparent mit der Aufschrift „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“ hoch. Damit verwies sie auf die zahlreichen Plakate, die auf dem Straßenpflaster ausgelegt waren. Sie dokumentierten die Gräueltaten der Terrormilizen und das Elend der Bürgerkriegsflüchtlinge. 

Innsbruck | 24. September 2014


Mit diesen Eindrücken im Kopf betrat ich das nur wenige Meter entfernte Taxispalais und schon im ersten Ausstellungsraum hatte ich das Gefühl, das sich der politische Protest von draußen hier drinnen fortsetzte. Das liegt am künstlerischen Ansatz von Daniel Richter, der zeigen will, dass auch heute mit Malerei gesellschaftspolitische Wirklichkeit reflektiert werden kann. Vor allem die Werke D.O.A.XL2011 und D.O.A.XL2012, in denen bewaffnete, dunkle Gestalten den Bildraum stürmen, könnten die dargestellten Kämpfenden aus den Kriegsberichterstattungen von den aktuellen Krisenherden abgeleitet sein. Richter bemerkt in einem Gespräch dazu: „Man braucht die Wirklichkeit nicht, um ein Bild zu malen, aber man braucht die Wirklichkeit, um ein Bild zu erkennen.“ (Quelle: Begleitbroschüre zur Ausstellung).

In der Ausstellung: D.O.A.XL 2011

In der Ausstellung: D.O.A.XL 2012


good, bad and ugly = goo bugly


Chromos goo bugly  ist ein etwas seltsamer Titel, dessen Sinn sich für den Ausstellungsbesucher nicht von selbst ergibt. Das ist typisch für Richter, der die Quellen seiner Bild- und Ausstellungstitel gerne kryptisch formuliert. "Goo bugly" hingegen beruhe nach eigener Aussage auf einer Zusammenziehung von good, bad and ugly. Es handle sich dabei um eine "Wortinnovation", erklärte der Künstler bei einer Presseführung zur Eröffnung der Ausstellung. Ansonsten gilt Wiederkennungs- und Assoziationsfreiheit, betonte der Künstler. Als Richter beim Pressegespräch animiert werden sollte, etwas zu den ausgestellten Werken zu sagen, sagte er: "Aber sie alle haben ja Augen in den Gesichtern". Er empfahl den Anwesenden abschließend: "Die Bilder für sich sprechen zu lassen.“ Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte; Hier schließt sich wieder der Kreis zu Kunst und Leben und damit zum eingangs erwähnten aktuellen tagespolitischen Protest; draußen-vor der Tür.

Innsbruck | 24. September 2014



Die Bilder für sich sprechen lassen


Seine Werke behandeln komplexe malerische und gesellschaftliche Fragestellungen. Richters Bilder sind voll von Assoziationen, Zitaten und Anspielungen auf Kunstgeschichte, Politik und aktuelle Ereignisse. Er verarbeitet Werbeplakate, Comics und Jerry Cottons „Cuba connection“, Pressefotos und Fernsehbilder und entwickelt dabei eine eigene Bildsprache. Einige seiner Inspirationsquellen dokumentiert Richter auf den ersten vierzig Seiten des ausgezeichneten Katalogs zur Ausstellung, an dem er persönlich mit großem Engagement mitgewirkt hat. Noch immer ist in seinen neonfarbenen, leuchtenden Bildern und den transparent,lasierend gemalten Körperumrissen sein künstlerischer Ursprung in der autonomen Politkultur des punkigen Undergrounds von Hamburg zu spüren. Auf mich wirkten einige Bilder wie ausgearbeitete Graffitikunst, wie Ikonen der Sprayerkultur. 

Blick in die Ausstellung


Blick in die Ausstellung


Blick in die Ausstellung

 

Daniel Richter als politischer Maler

Daniel Richter verbindet mit seiner Künstlerrolle gesellschaftliche Verantwortung. Er stellt sich die Frage: Für wen soll ich eigentlich malen und welchen Inhalt müssen meine Bilder haben? Die Bilderwelt des Daniel Richter prangert Missstände unserer zeitgenössischen Lebenswelten und abgründigen, weltpolitischen Zustände an. 


Ausstellung | Raum 1 mit "Jawohl und Gomorrah", links



Richter entwickelt in seinem Œuvre eine politische Dimension, die die Malerei selbst besitzt. "Es reicht, gemessen an eigenen politischen Ansprüchen, nicht aus, rassistische Gewalt abzubilden", formuliert Richter in einem Gespräch mit dem Kurator Philipp Kaiser, "denn für den Faschisten ist auch die Darstellung faschistischen Unrechts ein Genuss, vielleicht sogar sein einziger, denn in diesen Bildern beweist sich seine Macht. So ist die moralische Eindeutigkeit dieser Bilder eben auch ihre Schwäche." (Quelle: ART-Kunstmagazin, 5/09, S. 43) Der wirkt er entgegen. Skeptisch gegenüber allen Botschaften, setzt er die eigenständige, ästhetisierende Kraft der Kunst ein, um fernab vom Abbildcharakter überzeitliche Gefährdungen der humanen Orientierung aufzuzeigen. Dieses Kunstverständnis und seine Art zu malen, kommt meinem eigenen künstlerischen Ansatz sehr entgegen. Auch Richter malt Bilder aus der Zeit um 5 nach 12 und versucht künstlerische Antworten auf eine Welt zu finden, die aus den Fugen geraten zu sein scheint.

Seine neuesten Werke

Seine neuesten Werke Halber Akt, the call oder the message sind für mich noch etwas gewöhnungsbedürftig, da ich persönlich seine großformatigen, farbstarken, oszillierenden Bilder eindrucksvoller finde. 


In der Ausstellung: the message




 
Rechtes Bild: the call

 

Diese Bilder sind relativ monochrom gehalten. Klar konturierte rechteckige Bildausschnitte werden von verbogenen Baumstämmen und wuchernder Vegetation eingerahmt. Das Bildpersonal wirkt ruhig, unaufgeregt mit sich selbst beschäftigt. Ihre Körperhaltungen und Handlungen erscheinen diffus. „Ganz bewusst, habe er die Körperhaltungen so gehalten, dass es nicht klar ist, ob das jetzt autoerotische Akte der Frustration und Erschöpfung sind oder ob es Leute sind, die eine SMS verschicken.“ (Quelle: Begleitbroschüre zur Ausstellung).
 

Hey Joe und Bas | Taliban und Boatpeople


Aus dem umfangreichen Werk von Daniel Richter möchte ich exemplarisch zwei große Werkgruppen herausgreifen, in denen er sich mehrfach mit dem Kriegsgeschehen in Afghanistan oder dem Irak sowie mit den Boatpeople beschäftigt.


Im Vordergrund: HEY  JOE
 


In HEY  JOE stehen der Malboro-Cowboy und der einheimische Paschtune in friedlicher Eintracht beieinander. Der Turbanträger gibt dem Cowboy Feuer. Zusammen mit den kargen Berglandschaften der Bilder im Nebenraum assoziiert der Betrachter unwillkürlich unwegsame Gebirgswelten im Hindukusch, Taliban und Kalaschnikows. Ist HEY  JOE eine Anspielung auf die einstige Unterstützung der Taliban durch die USA gegen die Sowjetunion?


In Bas treibt ein kleines orangefarbenes Schlauchboot in einem gewaltigen Wellengebirge. Die Menschen, die weder Motor noch Ruder zur Verfügung haben, um das Boot zu steuern, klammern sich verängstigt aneinander.

Rechtes Bild: Bas

In dieser Werkgruppe gibt es noch zwei ähnliche Bilder, namens Tarifa und Flash. Das Bild Flash habe ich in der Ausstellung „60 Jahre 60 Werke“ vom 01.05.-14.06.2009 im Martin Gropius Bau Berlin sehen können. Flash zeigt ein umgekipptes Boot, an dem sich mehrere in einem dunklen Gewässer schwimmende Menschen festzuhalten versuchen. Mit diesem Motiv knüpft Richter an die beinahe täglichen Medienberichte über im Mittelmeer in Seenot geratene überfüllte Flüchtlingsboote an.
In seinem Roman „Sand“, der in einem fiktiven Ort namens Targar in Nordafrika spielt, stellt Wolfgang Herrndorf ein Zitat des antiken Geschichtsschreibers Herodot an den Anfang des ersten Buches seines Romans mit der Überschrift „Das Meer.“:
„Wir schicken jedes Jahr – und scheuen dabei weder Leben noch Geld – ein Schiff nach Afrika, um Antwort auf die Fragen zu finden: Wer seid ihr? Wie lauten eure Gesetze? Welche Sprache sprecht ihr? Sie aber schicken nie ein Schiff zu uns.“

Heute aber schicken die Menschen Afrikas Boote zu uns. Und welche Antworten geben wir?
Richter antwortet mit seiner Malerei in sehr spezieller Form, indem er sich nicht davor scheut, politische Verhältnisse zu ästhetisieren und damit künstlerisch adäquat darzustellen. Obwohl Daniel Richter eine Vielzahl seiner Inspirationsquellen aus den Printmedien, von Katastrophen aller Art, Straßenschlachten, Bürgerkriegen und Protestaktionen bezieht, gibt der Künstler selten direkte, explizite Hinweise auf bestimmte Ereignisse. Er gestaltet mit den eigenständigen Mitteln der Malerei universale Aussagen zur globalen Bedrängnis der conditio humana. In seinen Werken kommt eine für die moderne Lebenswelt charakteristische Atmosphäre von Angst und Unbehagen zum Ausdruck.

Fotos: Fred Tille

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