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Vernetzt | Foto: Dejo Denzer | Montage: Fred Tille |
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Der „Große Bruder“
Ridley Scott,
der "Alien"-Regisseur, drehte für Apple/Macintosh einen legendären
Werbespot mit dem Titel 1984. Der Film zeigt eine in diffuses graues
Licht getauchte düstere Welt, in der ausdruckslose Arbeiter durch einen langen
Gang im Gleichschritt eine große Halle mit einem riesigen Bildschirm betreten.
Dort spricht der „Große Bruder“ zu ihnen und preist die Kraft der Vereinigung
der Gedanken an. Ebenfalls zu sehen ist eine junge sportlich gekleidete Frau,
die auf den Bildschirm zurennt. In der Hand trägt sie einen großen
Vorschlaghammer; sie wird von martialisch ausgerüsteten Polizisten verfolgt.
Die Frau holt zum Befreiungsschlag aus und schleudert ihren Hammer gegen den
Schirm, der zerbricht und der „Große Bruder“ verschwindet abrupt. Die Zuschauer
in der Halle werden durch die Implosion mit grellem Licht angestrahlt. Anfang
1984 wurde dieser Spot anlässlich der Markteinführung des ersten Personal
Computers von Macintosh öffentlich gezeigt.
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YouTube
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Auch wenn die massenhafte
Verbreitung des Personal Computers erst elf Jahre später mit der Einführung von
Microsofts Windows ’95 einsetzte, trug der Macintosh wesentlich dazu bei, dass
wir heute alle Computer nutzen und mit unseren Spuren im Datennetz den
Nährboden für Orwell’sche Zustände legen. Google zum Beispiel weiss über jeden
digital aktiven Nutzer mehr, als sich George Orwell in seinen kühnsten Visionen
je vorzustellen wagte. Google will in all unserer Lebensbereiche eindringen,
Daten sammeln. Google plant die total vernetzte Welt, sammelt Informationen
über unser Leben und schafft immer perfektere und vollständigere digitale
Avatare. Diese Auswirkungen der digitalen Revolution konnte George Orwell
jedoch nicht voraussehen.
1984 – Der
Roman, der nie vergeht
Mit 1984
schuf George Orwell einen dystopischen Roman
in dem ein totalitärer Präventions- und Überwachungsstaat dargestellt wird. Protagonist
der Handlung ist Winston Smith, ein einfaches Mitglied der diktatorisch
herrschenden Staatspartei, der sich der allgegenwärtigen Überwachung zum Trotz
seine Privatsphäre sichern will und dadurch in Konflikt mit dem
System gerät, das ihn einer Gehirnwäsche
unterzieht. Orwell stellte das Buch Ende 1948 fertig. Der Titel enthält den
Zahlendreher des Jahres 1948 zu 1984 als Anspielung auf eine zwar damals noch
fern erscheinende, aber doch eng mit der damaligen Gegenwart verknüpfte
Zukunft. Seit dem Jahr 1984 sind dreißig Jahre vergangen und der Roman ist zur
Metapher geworden, wenn es darum geht, staatliche Überwachungsmaßnahmen
kritisch zu hinterfragen oder auf Tendenzen zu einem Überwachungsstaat
hinzuweisen. Wenn die Begriffe "Big Brother is watching
you", "1984", oder der Name „Orwell“ fallen, weiss jeder, was
gemeint ist. Und tatsächlich: Seit der NSA Affäre und seit dem Urteil des
Europäischen Gerichtshofs zum „Recht auf Vergessen“ hat das Sinnbild vom
„Großen Bruder“, das George Orwell in seinem Roman „1984“ entwarf, Hochkonjunktur.
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Abgerollt | Foto: Fred Tille |
Anfang der
90iger Jahre sahen viele Medientheoretiker die fortschreitende digitale
Vernetzung durch das Internet voller Optimismus als eine völlig neue globale, freiheitliche
und demokratische Perspektive für die Weltgesellschaft. In der Gegenwart hat
dieser Optimismus einen starken Dämpfer erlitten. Heute „registrieren wir eine monopolartige
und weltöffentliche Bewirtschaftung privater Daten durch einen neuen
informationstechnologischen Komplex, bestehend aus sämtlichen Geheimdiensten
der Welt im Zusammenspiel mit einigen wenigen marktbeherrschenden
Wirtschaftsunternehmen.“ (Quelle: Berliner Morgenpost vom 14. Mai 2014)
Geheimnisse werden Lügen, Privatsphäre
wird Erlebnisdiebstahl
Mit "The
Circle" hat der Schriftsteller Dave Eggers 2013 das "1984" fürs
Internetzeitalter geschrieben. Ein
freundlicher Internetkonzern namens „The Circle“ begeistert seine Nutzer - und
erklärt eines Tages Privatsphäre zum Diebstahl und Geheimnisse zu Lügen. Medizinische
Sonden stecken in allen Körpern, Bildschirme an Handgelenken, Milliarden von
Kameras wurden in der Welt verteilt, an jede Person und auf jede gerichtet. Dave Eggers Roman ist eine düstere Warnung vor
der Allmacht der Suchmaschinen und Anbieter sozialer Netzwerke.
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Nachschub | Foto: Fred Tille |
Dreißig Jahre
nach 1984 ist Big Brother überall. Big Brother ist in gewisser Weise jeder von
uns. Der Möglichkeit nach präsentiert sich jeder selbst und in dem Maße, wie er
das möchte. Die Bandbreite reicht von der 24-stündigen Webcam-Übertragung
sozialer Interaktionen, der freiwilligen totalen Preisgabe des Privaten bis zu
Menschen, deren ganzer Stolz darin besteht, keinen einzigen Eintrag im Internet
hinterlassen zu haben. Normal ist dabei zur Zeit immer noch ein relativ hohes
Maß an freiwilliger öffentlicher Selbstdarstellung. Bei Facebook und Co. posten
unbedarfte oder ignorante User oft unreflektiert ihre aktuellen Befindlichkeiten,
Aufenthaltsorte, persönlichen Vorlieben und zukünftige Aktivitäten in aller
Ausführlichkeit. Die Datenflut braucht von den Internetgiganten nur noch
abgesaugt zu werden. Noch fragen zu wenige, wie groß der Verlust an digitaler
Selbstbestimmung und der persönliche Schaden sein könnten, den ein
unbescholtener Internetnutzer durch diese Sammelwut erleiden könnte.
Im Dickicht gefangen?
Angesichts
dieser aktuellen Entwicklungen blickten weltweit viele Menschen auf den diesjährigen
Internet- und Medienkongress re:publica in Berlin. Welche Fragen würden dort
gestellt und welche Antworten würden gegeben werden? Die Veranstalter wählten
deshalb das Motto INTO THE WILD und führten dazu auf ihrer Homepage aus, dass
dieser Ansatz den Horizont für verschiedene Blickwinkel öffnen soll, um das
Internet und die Gesellschaft der nahen Zukunft zu verstehen und zu verbessern:
„Wenn Algorithmen uns zu gläsernen, kontrollierbaren weil berechenbaren
Menschen machen, müssen wir vielleicht unberechenbarer werden? Die Auflösung
von Strukturen, das Verlassen der populären Trampelpfade hinein ins Chaos, in
die Irrationalität, in die Wildnis eben, könnten Strategien sein. Aber wie
finden wir uns dann noch zurecht, wie finden wir zueinander? Wie flüstert man
im Netz und vor allem: mit wem? Wird nicht, wer ein freies, unkontrolliertes
Netz fordert, umso mehr kontrollieren müssen, wer dabei sein darf und wer
draußen bleiben muss?“
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Foto:
Website re-publica | Banner zur freien Verwendung in Blogs |
Das Festival
der freien Netzkultur wirbt mit einem Design, das einen wuchernden Wald in
verschiedenen Variationen zeigt. Für die Veranstaltungsräume haben die Kongress-Designer
eine Stimmung entworfen, in der sich rätselhafte Organismen durch den Wald
bewegen. Die digitale Welt ist demnach unübersichtlich geworden. Sie bietet Information,
Abenteuer und Erholung, aber auch Gefahren. Die Dramaturgie der re:publica ist
wie eine Lichtung angelegt, auf der sich Wanderer versammeln, um sich zu
orientieren. Ein heller Ort in einer bedrohlichen Welt.
Die Gedanken sind frei
Die ungehemmte
Expansion der Internetriesen stößt bisher auf wenig Widerstand. Das liegt auch
an den angebotenen kostenlosen Dienstleistungen. Auf schnelle Suchanfragen,
Videos, E-Mails und soziale Netzwerke kann und will niemand mehr verzichten.
Erst allmählich dämmert es immer mehr Nutzern, was die systematische Erfassung
und Verknüpfung der persönlichen Daten und der Bewegungsprofile im Internet für
weit reichende Konsequenzen haben kann. Der Ruf nach einer „Bill of Digital
Rights“ wird besonders in Europa immer lauter. Entschlossene und transparente
Netzpolitik, die Rahmenbedingungen schafft und digitale Selbstbestimmung durch
mündige und auch technisch versierte Internet-User wird bei vielen Menschen weltweit
zum Leitbild. Die Chancen und Vorteile der digitalen Welt sinnvoll nutzen und
die Gefahren der Untiefen des Internets erkennen können. Nur so lässt sich das Fortschrittsdilemma
zwischen Ausbau der digitalen Wirtschaft und Wahrung der bürgerlichen Freiheitsrechte
lösen.
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Reserve | Foto: Fred Tille |
Eine der zentralen Botschaften von George Orwell richtete sich gegen Staatsformen generell, die die innere und
äußere Freiheit der Menschen einschränken. Seine Botschaft ist ein
leidenschaftliches Bekenntnis zur individuellen Freiheit.
„Es sind
weniger die Institutionen als die Menschen, die Anlass zur Hoffnung sind. Sie
zeigen und artikulieren auch politisch ihr Bedürfnis nach
Privatsphäre. Solange dieses Bedürfnis in unserer Gesellschaft
lebendig ist, besteht kein Grund zur Resignation. Die Botschaft von Orwell ist:
Was Techniken noch nicht überwachen können, das sind die Gedanken der Menschen
(…). Aus dem gleichen Grund wird es auch in Zukunft weiterhin eine Nachfrage
nach Privatheit und nach persönlicher Freiheit geben. Und erst Privatheit und
Freiheit machen unser Leben wirklich lebenswert und würdevoll (Quelle: Technik,
Terror, Transparenz - Stimmen Orwells Visionen? Dr. Thilo Weichert, Landesbeauftragter für den
Datenschutz Schleswig-Holstein, Leiter
des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz (ULD) in Kiel, 2004).
Von Orwells „1984“ zu Apples „1984“
Zum Schluss
spanne ich noch einmal den Bogen von Orwells „1984“ zu Apples „1984“. Am Ende
des an den berühmten Roman von George Orwell angelehnten Spots von Regisseur
Ridley Scott verkündet die Stimme eines Sprechers aus dem Off:
“On
January 24th, Apple Computer will introduce Macintosh.
And you’ll see why 1984 won’t be like ‘1984’.”
„Am 24. Januar wird
Apple Computer „Macintosh“ vorstellen.
Und du wirst sehen, warum 1984 nicht wie ‚1984‘ sein wird.“
Heute-dreißig Jahre
später-sollten wir besser ein Fragezeichen hinter den letzten Satz setzen.
Weiterführende Links:
Der Werbefilm von Ridley Scott
Über den Roman 1984
Über den Roman "The Circle"
INTO THE WILD | re-publica 2014