Privater Kunstblog zum Thema:

Künstlerisches Handeln in Zeiten globaler Umbrüche


Die Welt von heute scheint aus den Fugen geraten. Sie ist durch große Unsicherheit, Unübersichtlichkeit und Fragilität, Krieg und Flucht, Terror und Gewalt geprägt. Damit ist die Entwicklung unserer zukünftigen Lebenswelten wieder zu einem bedeutsamen Schwerpunkt in der Kunst geworden. Auch die Erkenntnisse und Prognosen der Techniksoziologie und der Zukunftsphilosophie werden zunehmend als Gegenstand der Kunst entdeckt. Die bildende Kunst, das Theater, die Literatur und der Film reagieren darauf auf unterschiedliche Art und Weise. Mich beschäftigt die Frage, wie kann sich der Künstler, der ja Teil dieser Entwicklungen ist, den sich daraus ergebenden existentiellen Herausforderungen sinnvoll nähern? In diesem Zusammenhang möchte ich meine Bilder aus der Zeit um 5 nach 12 in lockerer Folge vorstellen. Texte zu den globalen Auswirkungen des westlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems ergänzen diese bildlichen Darstellungen. Über Reaktionen von Künstlern, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen, würde ich mich freuen.


Sonntag, 3. September 2023

Auch das noch! Kollege Roboter als Maler! KI in der Malerei | Drei Beispiele | Teil 3

Nach ziemlich langer Zeit kann ich Euch jetzt endlich den dritten Teil meiner Miniserie liefern. Nur zur Erinnerung: In den ersten beiden Teilen hatte ich Euch die Arbeitsweise der Malroboter AI-DA und e-David beschrieben. Im Wesentlichen kann man deren Basiskonzepte so zusammenfassen: AI-DA: Autonome Kunstwerke nur durch Roboter ohne menschliche Eingriffe aber mit Algorithmenvorgabe. e-David: Autonome Kunstwerke mit Algorithmenvorgabe in Verbindung mit visueller Rückkoppelung und menschlichen Eingriffen zur Optimierung.



Bei e-David werden bereits durch die direkten Eingriffe der Medienkünstlerin und Malerin Liat Grayver Malerei und digitale Technologie zusammengebracht. Grayver beschreibt diesen Prozess folgendermaßen: „Der Roboter arbeitet mit mir, nicht für mich.“

Das ist eine gute Überleitung zum dritten Teil meiner Miniserie. Hier stelle ich Euch eine weitere Variante Künstlicher Intelligenz in der Malerei vor. Sie kommt völlig ohne Robotik und ohne eigene Malerei daher. Ihre Hard-und Software verbirgt sich in normalen Rechnergehäusen und kann auch im Laptop, Desktoprechner oder Tablet ihre Arbeit verrichten. Wie dabei dieser Rechner zum Partner des Malers, gar zu seiner neuen Muse wird, zeige ich Euch am Beispiel des in Berlin lebenden und arbeitenden Malers Roman Lipski.

Wer Lust hat , kann vorher noch einmal in die Teile 1 und 2 hineinschauen. Hier die Direktlinks:

Kollege Roboter als Maler! Teil 1 AI-DA

Kollege Roboter als Maler! Teil 2 e-David


Lipski auf dem Weg zur KI als neue Muse


Bevor Lipski seine Zusammenarbeit mit der KI startete, befasste der sich in seiner gegenständlichen Malerei hauptsächlich mit Motiven, die aus einer Kombination von Landschaft und Architektur bestanden. Doch wie fast jeder Maler kam er irgendwann an den Punkt, an dem er sich die Frage stellte: Wie soll es weitergehen? Der Wunsch etwas Neues zu versuchen, wurde immer stärker. 

Interface #5 | Das ewige Thema: Mensch und Roboter |
Digitale Collage | Fred Tille


Angst vor dem Wiederholungsekel 



Die bisherigen Hauptmotive waren malerisch ausgereizt und man will nicht sein eigener Kopist werden. Neo Rauch sprach in diesem Zusammenhang von der Angst vor dem Wiederholungsekel, vor dem kein Maler gefeit ist. Aber neue Wege zu finden ist nicht so einfach. Zumal der Kunstmarkt und die damit verbundene Erwartungshaltung meistens nach den alten Bildern verlangen. Radikal neue Bildideen und Malformen zu entwickeln, ist für einen Maler nicht ohne Risiko. Lipski jedenfalls geriet in diesem Stadium der künstlerischen Arbeit nach eigenem Bekunden in eine Schaffenskrise. Bei seinen Orientierungsversuchen verwendete er beim Malen die serielle Methode, indem er ein und dasselbe Motiv mehrmals hintereinander auf eine große Leinwand malte. Das machen Maler häufig, um durch die Variation und Gegenüberstellung von Farben, Formen und Abstraktionsgraden weiterführende künstlerische Ansätze zu finden. Dabei wollte sich Lipski eindeutig in Richtung abstrakte Malerei bewegen.


Futter für den Rechner: Daten von Lipskis Bildern



In dieser Situation traf er auf den Künstler und Datenspezialisten Florian Dohmann und Lipski eröffnete sich eine neue Perspektive. Beide beschlossen, zukünftig mit Künstlicher Intelligenz zu arbeiten und entwickelten eine Software, die auf die Bilder von Roman Lipski abgestimmt war und die Lipski beim Malen unterstützen und im Ergebnis zu seiner neuen Muse AIR: Artificial Intelligence Roman führen sollte. 


Künstliche Intelligenz als kreative Muse | Ein gemeinsamer Vortrag von Roman Lipski & Florian Dohmann auf der Diskussionsplattform UBX18 (UBX stands for Useful Brand Experience)

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Die Software von Dohmann war in der Lage Lipskis Werkkatalog zu digitalisieren und zwischen Stil und Inhalt jedes Bildes zu unterscheiden. Dafür wurde der Rechner in einem monatelangen Prozess mit den Daten von Lipskis Bildern gefüttert. Daraus entwickelte sich ein Algorithmus, der als künstliches neuronales Netz auf der Basis der Verarbeitung des Bilderinputs eigene Kunstwerke produziert. Diese Eigenproduktion des Rechners erzeugt eigenständige digitale Bilder, die einerseits den Bildern des Künstlers ähneln und auf der anderen Seite völlig neue künstlerische Aspekte aufzeigen.


Ein Algorithmus ist in Arbeit. Screenshot YouTube | aus  Unfinished


Was wird mit dem Projekt beabsichtigt? 

Die programmierte Software ist quasi leidenschaftslos und frei von individuellen Interessen und subjektiven Befindlichkeiten. Screenshot von YouTube / aus Unfinished


Am Beispiel des Projekts Unfinished , das er zusammen mit dem Künstlerkollektiv YQP entwickelt hat, führt Lipski den gesellschaftlichen Diskurs um die Rolle künstlicher Intelligenz in der Malerei und in der Kunst allgemein weiter. Unfinished geht von folgenden Arbeitsansätzen aus, die er schrittweise umsetzt:


Unfinished
The First Artificial Muse in the World of Art 


Im ersten Schritt verwendet Lipski eine von ihm selbst aufgenommenen Schwarz-Weiß-Fotografie. Das Bild zeigt eine Straßenbiegung, die zwischen zwei Hügeln zu verschwinden scheint. Eingefasst von Bäumen und architektonischen Elementen gibt die Komposition dem Betrachter den Blick frei auf den Horizont einer in der Nacht erleuchteten Metropole.

Dieses Foto bildet die Basis für einen fortdauernden Dialog zwischen Maler und Programm. Neun Variationen des Motivs überträgt Lipski auf eine Leinwand. Das ist zugleich der Input für den Rechner, der daraus eine Vielzahl eigenständiger neuer digitaler Bilder produziert. Diese reaktiven Antworten des Systems nennt Lipski A.I.R. - Artificial Intelligence Roman. Wie das im malerischen Alltag des Ateliers aussieht, könnt ihr in folgerndem Video sehr gut nachvollziehen.



Das Basisbild für den Dialog zwischen Lipski und Software wird am Beginn des Videos gezeigt.  UNFINISHED – The First Artificial Muse in the World of Art. Only in English

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Fazit Lipski und A.I.R.: Der Rechner als dienender Partner des Malers. Im Dialog mit AIR verwendet Lipski die Vorschläge des Rechners als Anregung für von ihm als Maler eigenständig und eigenhändig gemalte Bilder. Das ist der entscheidende Unterschied zu den Malrobotern AIDA und e-David. 

Dieser hier beschriebene produktive Austausch zwischen KI und Maler ist für mich die vielversprechendste Variante der Nutzung von KI in der Malerei. Im nächsten Post werde ich versuchen alle drei Teile meiner Miniserie abschließend unter dem Titel „Was soll das Ganze? KI in der Malerei!“ zu bewerten. 




(1) Quelle: Leonie Kathmann- Projekt Zukunft Berlin  Also in English

Weiterführende Links / Related Links:

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Sorry, alle YouTube Videos haben Werbung am Anfang. Aber die Videos lohnen sich. Also bitte etwas Geduld haben. Viel Spaß.

Sorry, all YouTube videos have ads at the beginning. But the videos are worth it. So please be patient. Have fun.

Projekt Unfinished in der Galerie Sophisticated 2018 | Anschaulicher und sehr guter Überblick zu Lipskis Arbeiten, die aus dem Projekt Unfinished / A.I.R. hervorgegangen sind. Some with summaries in English.

Im Atelier mit Lipski  Ein Filmbeitrag von Arte Journal zeigt anschaulich die handwerkliche Arbeitsweise von Lipski

How Art meets Artificial Intelligence | YQP and Roman Lipski | TEDxMünster  Beschreibung von YQP – ein in New York und Berlin ansässiges Kunstkollektiv. Etwas langatmiger Beitrag, der aber eine sehenswerte Eingangssequenz über Hollywoods Filmverständnis von Mensch und Maschine enthält. Only in English / Nur englischer Sprache. Mit deutschen Untertiteln.

KI-Themen auf meinem Blog:

Shakespeare als Automechaniker

Singularity nach 2045

1984 George Orwell lässt grüßen

Bis bald in der Zukunft


Mittwoch, 8. März 2023

Nan Goldin und Berlin

 



Nan Goldin, der US-amerikanischen Fotografin und Filmemacherin ist Berlin nicht unbekannt. Sie lebte seit Anfang der 90er für einige Jahre hier und ist nach eigenen Worten der Stadt 'weiter sehr verbunden.' Vor allem auch deshalb, weil ihre Arbeit in Berlin früher verstanden worden sei als in den USA. Zur Zeit weilt sie anlässlich der Auszeichnung mit dem Käthe-Kollwitz-Preis 2022 in Berlin. Goldin kündigte für das nächste Jahr eine Retrospektive ihrer Arbeiten in der Neuen Nationalgalerie Berlin an. Damit gehe für sie „ein Traum in Erfüllung“, sagte Goldin.

Aber auch das Berliner Kunstpublikum liebt die Fotografin. Noch am Abend der Preisverleihung bildete sich eine lange Warteschlange von Interessierten ohne Ticket vor dem Akademieeingang. Sie alle hofften noch einige Restkarten an der Kasse zu erhalten. Zuvor war der Andrang auf die Tickets so groß, dass im Saal der Akademie beide Parkette geöffnet werden mussten. Das ist eine bauliche Besonderheit der Akademie. Durch die beiden Parkette befindet sich die Bühne nicht frontal vor dem Publikum, sondern in der Mitte. Das Publikum sitzt davor und dahinter. 

Hier der Blick vom kleinen auf das große Parkett. Die Bühne in der Mitte.

Mit der Preisverleihung und der angekündigten Retrospektive schließt sich für Goldin ein Lebenskreis in Berlin. In seiner Laudatio bezeichnet Klaus Biesenbach, der Direktor der Neuen Nationalgalerie Berlin, Goldin als eine der wichtigsten Künstlerinnen der zeitgenössischen Fotografie und als eine 'Berliner Weltbürgerin'. 


Goldin und Berlin zum Ersten: Die Preisverleihung


Am Abend des 03.03.2023 wurde Goldin mit dem Käthe-Kollwitz-Preis 2022 der Akademie der Künste Berlin ausgezeichnet. Die Künstlerin wurde für ihre zentrale Position in der zeitgenössischen Fotografie gewürdigt.

Die Wahl fiel auch deshalb auf Goldin, weil Kollwitz und Goldin in ihren Werken viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Die Akademie-Präsidentin Jeanine Meerapfel betonte in ihren einführenden Worten, dass sich beide Künstlerinnen in ihrer Kunst dafür einsetzten, das Leben sozialer zu gestalten. Dabei gebe Goldin schon früh Randgruppen eine Stimme. Mit ihren Arbeiten aus ihrem persönlichen Lebensumfeld und der Community von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Intersexuellen und Queeren hat Goldin häufig Tabus gebrochen, Grenzen überwunden und sich für Akzeptanz und Anerkennung der Szene eingesetzt.

In ihren Werk zeigt Käthe Kollwitz immer Mitgefühl für Menschen in schwierigen sozialen Verhältnissen. Zwei Holzschnitte von Käthe Kollwitz, Kindersterben (links) und Erwerbslos, beide 1924/25 | Aus einem Blick in die Ausstellung: Berliner Realismus von Käthe Kollwitz bis Otto Dix 2018, Bröhan Museum Berlin 

In ihrer Dankesrede geht sie sichtlich bewegt auf einige Stationen ihres Lebens ein. Dabei gewährt die Fotografin einen sehr persönlichen Einblick in ihr Leben. Sie berichtet vom Suizid ihrer acht Jahre älteren Schwester Barbara, der als ein Schlüsselereignis für ihr gesamtes Schaffen gilt und von ihrem Protest gegen die Familie Sackler, die mit ihrem Pharmakonzern in die Opioid-Epidemie zwischen 1999 und 2022 in den USA verwickelt war. Sie schließt ihre Dankesrede mit den Worten, die ich aus meinem Gedächtnis zitieren möchte:

Amerika ist zerbrochen. Berlin ist mein Zuhause, eines der wenigen, die ich in meinem Leben gefunden habe. Hier habe ich einige meiner schönsten Tage verbracht. Und Nächte.“ 


Die Akademie-Präsidentin Jeanine Meerapfel (rechts) übergibt den Preis an Nan Goldin.
In der Rückenansicht der Laudator, Klaus Biesenbach, der Leiter der Neuen Nationalgalerie Berlin

 

Nach der Preisverleihung beantwortet Goldin Fragen aus dem Publikum. Hier antwortet sie meinem Sitznachbarn, einem jungen Mann, der sie als angehender Künstler um ein Erfolgsrezept bittet. Die Antwort ist desillusionierend. Früher hätte man seine Arbeiten einfach einer Galerie zeigen können, um ausgestellt zu werden. Heute gehe es in der Kunstbranche nur noch ums Geld. "Viel Glück" wünscht sie mit einem leicht resignativem Lächeln.

Goldin und Berlin zum Zweiten: Die Ausstellung


Aus Anlass der Auszeichnung zeigt die Akademie noch bis zum 16. April 2023 eine Ausstellung mit rund 60 Fotografien. Gezeigt wird ein Querschnitt der Fotos Goldins aus ihren frühen Jahren bis in die Gegenwart. Die amerikanische Fotografin wurde in den Achtzigerjahren berühmt mit kühlen, oft wunderbar schroffen Bildern aus dem queeren Alltagsleben New Yorks. Aus ihrer berühmtesten Fotoserie Die Ballade von der sexuellen Abhängigkeit von 1986 werden ebenfalls einige Arbeiten gezeigt.

Im Eingangsbereich der Ausstellung


Goldin trennte sich frühzeitig von den traditionellen Vorstellungen eines „guten Bildes“ mitsamt Zentralfigur, Vorder- und Hintergrundgestaltung, Ausleuchtung und Fokus. Sie entwickelte ihre eigene lässig wirkende und uninszenierte authentische Arbeitsweise. Soviel ich weiß, arbeitet sie bis heute analog und würde sie digital fotografieren, wäre ihr die Zuhilfenahme von Photoshop mit Sicherheit ein unvorstellbares Gräuel. Ihre Bilder sind geprägt von einer schonungslosen Direktheit, die auch vor intimen Momenten nicht zurückschreckt. Und sie scheut sich auch nicht, sich selbst in aller Offenheit und Rücksichtslosigkeit ins Bild zu setzen. 

Der Ausstellungsraum ist ganz dunkel, nur die Fotografien von Nan Goldin strahlen von den Wänden als wären sie Dias, die in Leuchtkästen montiert sind. Durch diese Inszenierung wird die Unmittelbarkeit ihrer Aufnahmen besonders eindringlich hervorgehoben. Goldin hat die Ausstellung selbst mitkuratiert.

Brian and Nan in bed, NYC 1983
"Nachdem ich zusammengeschlagen worden war, teilte ich alles in ein Vorher und Nachher ein" Damit spielt Goldin wohl auf ihr bekanntestes Foto aus der Serie von The Ballad of Sexual Dependency, Nan after being battered, 1983 an. Es zeigt sie selbst, schwer verprügelt von ihrem Freund Brian. Mit geschwollenen, blau geschlagenen und schwerverletzten Augen schaut sie in die Kamera. (link zum Foto aus der Sammlung des MOCA). Dieses Foto ist das Nachher, das untrennbar korrespondiert mit dem Vorher-Foto Brian and Nan in bed. Das Foto Nan after being battered ist das Dokument der Erkenntnis ihrer Abhängigkeit und der daraus folgenden Trennung von Brian.


Thora at my vanity, Brooklyn, NY 2021 (Bild links)
Im Foto spiegelt sich leider teilweise die Nebenwand der Ausstellung. Es ist aber ein gutes Beispiel für die subjektive und intime Arbeitsweise von Goldin. Die Intimität des Moments ergibt sich gerade aus der Verweigerung jeglicher Inszenierung. Es zeigt ihre Freundin Thora Siemsen. In einem Gespräch, aufgezeichnet 2021 für die Marian Goodman Gallery, sagt Goldin zu Thora Siemsen: 
"Als die Pandemie kam, war es ein Gottesgeschenk, dass du bei mir eingezogen bist. Ich wäre sonst weder geistig gesund noch abstinent geblieben."
Bild rechts: Thora on my white bed, Brooklyn, NY, 2020


Als international anerkannte und berühmte Fotografin hat Goldin allerdings ein widersprüchliches Verhältnis zur Fotografie als Kunstform. Fotografie war für sie mehr ein Weg, um einen Zugang zu Menschen und zu sich selbst zu finden. Zwei Selbstzeugnisse möchte ich als Beispiele für ihre künstlerische Antriebskraft anführen.

Jedes Mal, wenn ich etwas Beängstigendes, Traumatisches erfahre, überlebe ich, indem ich fotografiere.“

Ich habe angefangen zu fotografieren, weil ich Filme machen wollte. Und vielleicht liegt ein Teil meines Erfolgs darin, dass ich mich nie für Fotografie interessiert habe. Ich habe einen Weg gefunden, Filme zu machen, indem ich Standbilder zusammenfügte. Das sind meine Filme.“ 


Über den Käthe-Kollwitz-Preis

„Der Käthe-Kollwitz-Preis ist ein in Deutschland vergebener und nach der Künstlerin Käthe Kollwitz benannter Kunstpreis. Der 1960 von der damaligen Akademie der Künste der Deutschen Demokratischen Republik gestiftete Preis wird jährlich von der Akademie der Künste (Berlin) an einen bildenden Künstler vergeben, der damit für ein Werk oder sein Gesamtschaffen geehrt wird. Den Preis vergibt eine Jury, deren Mitglieder jedes Jahr neu bestimmt werden. Mit der Auszeichnung ist auch eine Ausstellung im Gebäude der Akademie verbunden. Seit 1992 wird das Preisgeld in der Höhe von 12.000 Euro (Stand 2020) von der Kreissparkasse Köln, der Trägerin des Käthe-Kollwitz-Museums in Köln, mitfinanziert.“ (1)

(1) Quelle: Wikipedia

Sämtliche Fotos: Fred Tille

Weiterführende Links / Related Links:

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Käthe-Kollwitz-Preis 2022. Nan Goldin | Akademie der Künste Berlin 

Übersicht:Leben und Werk von Nan Goldin

Nan Goldin| MoMA - The Museum of Modern Art | Sehr gute Auswahl von 21 Werken 

Über die vier Jahre von Nan Goldin in Berlin

Original Website Käthe Kollwitz Museum Köln | Der Bestand des Käthe Kollwitz Museum Köln umfasst neben dem kompletten plastischen Werk über 300 Zeichnungen und mehr als 550 druckgraphische Blätter sowie alle Plakate. 

Original Website Käthe Kollwitz Museum Berlin

Sonntag, 15. Januar 2023

RetroPost: MetropolisBlues vor 8 Jahren

 


In „From Post to Post“ habe ich aus meinen Posts 2014 Zitate ausgewählt und zu einer Collage zusammengestellt. Unterschiedliche Farben und Schrifttypen tönen die Worte und geben ihnen eine unterschiedliche Stimme. Die Komposition der Worte ergibt – so hoffe ich - eine poetische Collage, die eine eigene Geschichte, den MetropolisBlues, erzählt.


"Entweder das Gemälde ist gut oder es ist blöd. Dann wird die ganze Farbe wieder abgewischt."

 K.O. Götz | Hauptvertreter der abstrakten Kunst und des Informel in Deutschland

Hier geht es zum Link: From Post to Post



 

Sonntag, 1. Januar 2023

Epochenbruch und Zeitenwende

ZeitBild | Nr. 9


Konflikt
ZeitBild |  Nr. 9
Fred Tille | B 40cm x H 30cm
Acryl auf Leinwand | 2013

Epochenbruch und Zeitenwende


Zum Jahresauftakt hätte ich euch gerne mit einer optimistischen Botschaft begrüßt; aber die Verhältnisse lassen das leider wieder nicht zu. In den letzten Jahren musste ich zum jeweiligen Jahresanfang immer mit Katastrophenmeldungen starten. Es begann mit The Decade From Hell (Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts). In diese Zeiten fiel der Anschlag auf das World Trade Center am 11.09.2001, die Kriege in Afghanistan und im Irak und die globalen Auswirkungen der Pleite der Lehmann-Brothers. Zwischenzeitlich haben wir die Atomkatastrophe von Fukushima, die Zunahme der Umweltzerstörung und die Auswirkungen des Klimawandels erlebt. 

Anfang des Jahres 2020 ging es weiter mit der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts. Würde diese eine Dekade des Umbruchs werden? Hierzu war allen Einschätzungen gemeinsam, dass die Veränderungen im kommenden Jahrzehnt die Welt wohl stärker verändern werde als je zuvor. Und das bewahrheitete sich im negativen Sinn: 2020 war das Jahr der Pandemie, die sich weltweit über dieses ohnehin düstere Szenario wie ein langer Schatten legte. Aber Anfang 2021 gab es immerhin noch den Hoffnungsschimmer, die Pandemie besiegen zu können. 

Und dann begann im Februar 2022 Putins furchtbarer Angriffskrieg auf die Ukraine, der einen Epochenbruch in Europa darstellte. Von einer Zeitenwende ist die Rede, die bisherige globale Ordnung ist infrage gestellt und es ist längst nicht mehr klar, wie es weitergehen soll. Der Krieg in der Ukraine ist mit einem ganzen Bündel schwerwiegender weltweiter Folgen verbunden, die selbst katastrophenerprobte Analytiker in prognostische Nöte bringt.

Von den Folgen kriegerischer Auseinandersetzungen lassen sich natürlich auch Künstler beeinflussen; vor allem diejenigen, die in ihr Werk gesellschaftspolitische Positionen miteinbeziehen. Hierzu empfehle ich euch die Lektüre meiner Posts Geplanter Zufall und politische Positionierung bei K.O. Götz und Guernica in Berlin.

Auch mich interessiert die Frage, wie kann sich der Künstler, der ja Teil dieser Entwicklungen ist, diesen existentiellen Herausforderungen sinnvoll nähern? Anlass für mich euch noch einmal mein Bild Konflikt vorzustellen. Ich habe es 2013 gemalt. Als ich daran arbeitete, hatte ich mich zuvor intensiv mit dem Bürgerkrieg in Syrien befasst.