Privater Kunstblog zum Thema:

Künstlerisches Handeln in Zeiten globaler Umbrüche


Die Welt von heute scheint aus den Fugen geraten. Sie ist durch große Unsicherheit, Unübersichtlichkeit und Fragilität, Krieg und Flucht, Terror und Gewalt geprägt. Damit ist die Entwicklung unserer zukünftigen Lebenswelten wieder zu einem bedeutsamen Schwerpunkt in der Kunst geworden. Auch die Erkenntnisse und Prognosen der Techniksoziologie und der Zukunftsphilosophie werden zunehmend als Gegenstand der Kunst entdeckt. Die bildende Kunst, das Theater, die Literatur und der Film reagieren darauf auf unterschiedliche Art und Weise. Mich beschäftigt die Frage, wie kann sich der Künstler, der ja Teil dieser Entwicklungen ist, den sich daraus ergebenden existentiellen Herausforderungen sinnvoll nähern? In diesem Zusammenhang möchte ich meine Bilder aus der Zeit um 5 nach 12 in lockerer Folge vorstellen. Texte zu den globalen Auswirkungen des westlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems ergänzen diese bildlichen Darstellungen. Über Reaktionen von Künstlern, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen, würde ich mich freuen.


Sonntag, 17. August 2025

Polympsest - Neue Bilder von Norbert Bisky in Berlin

Exhibition view: Norbert Bisky, Polympsest, Esther Schipper Berlin, 2025
Courtesy the artist and Esther Schipper Berlin/Paris/Seoul
Photo © Andrea Rossetti 
© Norbert Bisky / VG  Bild-Kunst, Bonn 2025 

Über die Malerei von Bisky habe ich in meinem Blog schon dreimal berichtet. Diesmal möchte ich Euch seine neuen Arbeiten vorstellen, die er vom 13.06. bis 30.07.2025 in der Galerie Esther Schipper, Berlin ausgestellt hat.

Mit dem Titel Polympsest setzt Bisky - wie in den vergangenen Ausstellungen Pompa und Rant - seine Vorliebe für exotische und etwas kryptische Titel fort.

Polympsest ist eine Wortneuschöpfung von Bisky, die sich aus dem antiken Palimpsest, einem Manuskript, das immer wieder überschrieben wurde, ohne dass die Spuren früherer Texte ganz verschwanden und aus poly, das für Vielfalt steht, zusammensetzt. Nach Bisky beschreibt Polympsest den Zustand, in dem sich nichts mehr eindeutig trennen lässt. Damit wollte er nach eigener Aussage „ein Wort für alle Schichten finden, die in meinen Bildern vorkommen.“ Vielfalt und Überlagerung sind folglich die zwei Grundprinzipien seiner neuen Arbeiten. 

Die Basics der künstlerischen Positionen von Bisky könnt ihr in meinen Posts nachlesen:

Trilemma

Bisky geht an die Decke Teil 1

Bisky geht an die Decke Teil 2


Norbert Bisky Park Society, 2025 Oil on canvas 150 x 200 cm , Courtesy the artist and Esther Schipper, Berlin/ Paris/Seoul, Photo © Valentin Wedde , © the artist / VG Bild-Kunst, Bonn 2025   

Am Auffälligsten ist die Einarbeitung von Buchstaben als neuem Element in Biskys Bildsprache. Er beziehe sich, sagt er, auf die Affichistes, einer kleinen französischen Künstlergruppe, die Plakate, (französisch: affiche) zur Grundlage ihrer Kunst machte. Das Wort Affichist heißt demnach so viel wie Plakatkünstler bzw. Plakatabreißer.

 Als eine Künstlerbewegung der Nachkriegszeit, bei der die Präsenz an den Krieg und seine verheerenden Folgen dominierte, beabsichtigten die Affichisten, die Realität mit all ihrer Verzerrung und Verwüstung in ihrer Kunst zum Ausdruck zu bringen. Ihre Ausdrucksmittel fanden sie folglich in den anonym zerrissenen Plakaten auf den Straßen, die die verzerrte Realität verkörperten.“ (1)

Bisky hat diese Inspirationsquelle nicht nur formal, sondern auch konzeptionell in seine aktuellen Arbeiten einfließen lassen. Die Plakatreste, die in seinen Bildern auftauchen, stammen aus der Umgebung seines Ateliers in Berlin-Friedrichshain. Statt sie jedoch direkt zu übernehmen, hat Bisky die Relikte abfotografiert und malerisch in seine Arbeiten eingefügt.

Norbert Bisky Petroglyph, 2025 Oil on canvas 150 x 120 cm, Courtesy the artist and  Esther Schipper, Berlin/ Paris/Seoul, Photo  © Valentin Wedde, ©  the artist / VG  Bild-Kunst, Bonn 2025 


Der Maler zeigt Schauplätze des Berliner Lebens, die durch Zerrissenheit, Widersprüchlichkeit und Gegensätzlichkeit geprägt sind. In seiner Bildsprache trifft Werbung auf Protest, Privates auf Politisches und Schönheit auf Zerstörung.

Auf den Leinwänden tauchen immer noch Jünglinge auf, die zu seinem Markenzeichen geworden sind. Aber sie tummeln sich nicht mehr im Paradies, sie werfen Steine. Sie sind vermummt wie die Demonstranten bei G20-Gipfeln. Sie fallen aus dem Himmel und landen zwischen Palmenzweigen, lichterloh brennenden Luxushochhäusern und taumelnden Hubschraubern. Diese bunte, farbenfrohe Welt brennt. Bei Bisky ist die Apokalypse bunt.


Norbert Bisky Oblivion, 2025 Oil on canvas 170 x 130 cm, the artist and Esther Schipper, Berlin/ Paris/Seoul, Photo © Valentin Wedde, © the artist  / VG Bild-Kunst, Bonn 2025  

Norbert Bisky  Rewind, 2025 Oil on canvas 190 x 160 cm, Courtesy the artist and Esther Schipper, Berlin/ Paris/Seoul, Photo  © Valentin Wedde, © the artist /VG Bild und Kunst, Bonn 2025   

Die Wände der Galeriehalle nehmen das Ausdrucksmittel der Affichistes auf. An etlichen Stellen kleben hinter den Bildern Biskys monochrome Fototapeten, die die Zeichensprache des Großstadtraumes wiedergeben: Schichten von abgerissenen Plakaten, die wieder überklebt wurden. Urbane Überreste von Graffiti und vereinzelte Buchstaben. Diese Präsentationsform korrespondiert meiner Ansicht nach sehr gut mit dem Ausstellungstitel Polympsest und verstärkt die Wirkung der expressiven Bilder. Bildfetzen des Großstadtalltags fliegen über die Leinwände.

Exhibition view: Norbert Bisky  Polympsest, Esther Schipper, Berlin, 2025, Courtesy the artist and Esther Schipper, Berlin/ Paris/Seoul,  Photo  © Andrea Rossetti,  © Norbert Bisky / VG Bild-Kunst, Bonn 2025


On the wall: Norbert Bisky Rewind, 2025 Oil on canvas 190 x 160 cm, Foreground: Norbert Bisky  Lit f, 2025, Assemblage  of found street lights, signage and urban objects, lighting electronics
231 x 100 x 70 cm

Exhibition view:  Norbert Bisky, Polympsest, Esther Schipper, Berlin, 2025, Courtesy the  artist and Esther Schipper, Berlin/ Paris/Seoul , Photo  © Andrea Rossetti , © Norbert Bisky /  VG Bild-Kunst, Bonn 2025


Biskys Malerei ist nach wie vor kraftvoll und verarbeitet mit direktem malerischen Zugriff relevante gesellschaftspolitische Themen. In der Ausstellung gibt es für den Betrachter wirklich etwas zu sehen. Zum Abschluss noch ein Zitat des Malers zu seiner Ausstellung Polympsest:

Es geht mir nicht um einen aktuellen Kommentar, das wäre nächste Woche schon veraltet. Aber ich will die Gegenwart spürbar machen.“ (2).


Quellen:

(1) Affichisten Wikipedia 

(2)  Berliner Morgenpost vom 25.06.2025

Weiterführende Links:

Die Affichisten – Poesie der Großstadt

Hinweis: Dieser Link enthält Kaufwerbung von Amazon. Er vermittelt aber einen guten

Überblick zur Kunst der Affichisten mit Beispielen ihrer Arbeiten.

Galerie Esther Schipper (only in English)

Originalwebsitevon Norbert Bisky