Privater Kunstblog zum Thema:

Künstlerisches Handeln in Zeiten globaler Umbrüche


Die Welt von heute scheint aus den Fugen geraten. Sie ist durch große Unsicherheit, Unübersichtlichkeit und Fragilität, Krieg und Flucht, Terror und Gewalt geprägt. Damit ist die Entwicklung unserer zukünftigen Lebenswelten wieder zu einem bedeutsamen Schwerpunkt in der Kunst geworden. Auch die Erkenntnisse und Prognosen der Techniksoziologie und der Zukunftsphilosophie werden zunehmend als Gegenstand der Kunst entdeckt. Die bildende Kunst, das Theater, die Literatur und der Film reagieren darauf auf unterschiedliche Art und Weise. Mich beschäftigt die Frage, wie kann sich der Künstler, der ja Teil dieser Entwicklungen ist, den sich daraus ergebenden existentiellen Herausforderungen sinnvoll nähern? In diesem Zusammenhang möchte ich meine Bilder aus der Zeit um 5 nach 12 in lockerer Folge vorstellen. Texte zu den globalen Auswirkungen des westlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems ergänzen diese bildlichen Darstellungen. Über Reaktionen von Künstlern, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen, würde ich mich freuen.


Samstag, 28. November 2020

Bisky geht an die Decke! Teil 2

Reichlich verspätet kommt hier die Fortsetzung meines Posts Bisky geht an die Decke!

Im ersten Teil hatte ich davon berichtet wie stark Bisky von den alten Meistern und speziell von den italienischen Manieristen insbesondere von Tintoretto inspiriert wurde.

Als in Venedig 2018 zum 500. Geburtstag des Malers Jacopo Tintoretto zwei große Ausstellungen stattfanden, war klar, dass Bisky einen seiner künstlerischen Favoriten besuchen würde.


Bisky trifft Tintoretto in Venedig


Bisky und Tintoretto haben als Künstler viele Gemeinsamkeiten. Auch Tintoretto lebte in einer Zeit, in der die Welt aus den Fugen geraten war. Die Pest zog durch Europa, Rom wurde von protestantischen Truppen geplündert und die Macht der Republik Venedig begann zu verblassen. Es war eine Welt der Umbrüche, der Auflösung, der zerfallenden Gewissheiten. Wie in einem Spiegel werfen Tintorettos ungebändigte und unruhigen Bilder die religiösen und politischen Stürme dieser Zeit zurück. Er schuf eine aus den Fugen geratene Bilderwelt.  

So hat z.B. Tintorettos Abendmahl von 1594 nichts mit dem geordneten Bildaufbau und den ruhig agierenden Personen der Abendmahldarstellung von Leonardo da Vinci gemeinsam.

Abendmahldarstellung von Leonardo da Vinci 1494-1498
Quelle Foto: Wikipedia, gemeinfrei

Stattdessen finden wir bei Tintoretto ein für die vorherrschende Malerei der damaligen Zeit ungewöhnliches Chaos und Konfusion vor. Der komplizierte Bildaufbau, die rätselhaft - düstere Farbgebung, die heftigen Bewegungen der Figuren mit ihren verdrehten Körpern - all das bricht mit den herkömmlichen Abendmahls-Darstellungen: unbekümmert, herausfordernd, radikal.


Tintorettos Abendmahl von 1594,
Quelle Foto: Wikipedia, gemeinfrei

Bilder antworten auf Bilder – Vergleiche und Assoziationen


Auch Bisky bevorzugt in seiner Malerei chaotische und unruhige Darstellungsformen. Auf großformatigen Leinwänden sieht man oftmals immer noch strahlende Jünglinge, die zu seinem Markenzeichen geworden sind. Aber sie tummeln sich nicht mehr im Paradies, sie werfen Steine. 

Sie sind vermummt wie die Demonstranten beim G20-Gipfel. Sie fallen aus dem Himmel zwischen Palmenzweige, lichterloh brennende Luxushochhäuser und taumelnden Hubschraubern in Rio de Janeiro. Diese bunte, farbenfrohe Welt brennt. Bei Bisky ist die Apokalypse bunt. 

Vergleicht man das Figurenszenario in Biskys Deckeninstallation mit Tintorettos innovativen, extravaganten und hochdramatischen Bildkompositionen, stellen sich sofort Assoziationen ein. Auch Bisky zeigt in seiner Deckeninstallation eine Welt aus den Fugen.

Tintorettos Abendmahl im Vergleich zu Biskys Figurenszenario


Stürzende Menschen aus blauem Himmel bei Tintoretto.
Tintorettos Wunder des Sklaven von 1548,
Quelle Foto: Wikipedia, gemeinfrei


Stürzende Menschen aus blauem Himmel bei Bisky.
Big Trilemma, 2017, Ausstellungsansicht aus Trilemma

Mein Bildervergleich bedeutet natürlich nicht, dass Bisky quasi eins zu eins Kompositionen von Tintoretto für seine Malerei übernimmt. Er weist vielmehr daraufhin, dass Bisky nach eigener Aussage in seiner künstlerischen Tätigkeit auch aus dem Fundus der Kunstgeschichte schöpft:

"Wenn ich mit Pinsel und Ölfarbe vor der Leinwand stehe, beziehe ich mich einfach auf eine viele Jahrhunderte alte Kulturtradition." (1)


Biskys Deckeninstallation in der Matthäus-Kirche

An dieser Stelle möchte ich nun überleiten zu Biskys Deckeninstallation in der Matthäus-Kirche.

„Ich denke viel nach über die Präsentation von moderner Malerei als Deckenbilder. Gerade weil das so aus der Zeit gefallen scheint“,  

 erklärt Bisky und weiter:

„Ich bin gerne in Kirchen, Moscheen, Synagogen. Da komme ich zur Ruhe, zum Nachdenken über die Welt. Unlängst war ich in Venedig, die Deckenbilder in Kirchen und Palazzi gehen mir nicht aus dem Kopf.“ (2)

Gerade in Venedig schuf Tintoretto über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten zahlreiche Wand- und Deckengemälde auch für den Dogenpalast.

Vielleicht hatte Bisky auch diese Wand- und Deckengemälde in Venedigs Dogenpalast vor Augen, als er für die Berliner Schau mit dem Titel Pompa eine Deckenpräsentation konzipierte. 

Oben: Deckenmalereien im Saal des Großen Rates. Mit 54 Metern Länge der größte Saal des Dogenpalastes. Die hintere Wand wird in voller Breite von Tintorettos Bild Das Paradies eingenommen. Auf diesem Foto nicht zu sehen.
Unten: Ausschnitt aus Deckenpräsentation Pompa

In der Matthäus-Kirche hat der Maler seine Arbeiten unter der etwa zwölf Meter hohen Decke montiert. Die Werke beginnen in der Zeit nach der Wende. Unterteilt durch die Deckenstreben der Sakralarchitektur wird ausgehend von der Stunde Null über die Euphorie der Aufbruchszeit bis hin zu den Verunsicherungen der Jetztzeit eine lineare Geschichte erzählt. 
Migration, Umweltzerstörung, Terror sind die Themen. Die Bilder umfassen den Zeitraum von 2002-2019

Zwischen Fernglas und Spiegelkabinett - Tücken der Präsentation


In der Renaissance, der Blütezeit der Deckenmalerei, wurden in der Regel die Malerei und deren Inhalte nach einem einheitlichen Grundentwurf ausgeführt. Auf gewölbten und architektonisch strukturierten Deckenflächen entstanden phantastische Welten, die den Betrachter mit Staunen und Andacht erfüllen sollten. Die raumabschließende Wirkung der realen Decke schien aufgehoben, und der Blick des Betrachters wurde auf einen illusionistischen Raum jenseits der Decke gezogen.  

Diese damit verbundene Konstruktion eines perfekten illusionistischen Bildraums gelingt Bisky mit seiner Deckeninstallation nicht. Das war auch nicht beabsichtigt. Obwohl die Bilder von der starken Farbgebung und Motivwahl her für eine Deckenkonstruktion geeignet erscheinen, hängen sie zu hoch. Einzelheiten und Feinheiten sind leider nur sehr schwer erkennbar. Ein ausgelegtes Fernglas und Spiegel im Boden und im Raum sollen diese Distanz überwinden. Die Spiegelung am Boden ist zwar hilfreich, trennt aber quasi als Sekundärblick von der Unmittelbarkeit der Wahrnehmung der Deckenpräsentation.  

Oben: Spiegeltisch vor den Sitzreihen.
Unten: Begehbarer Spiegel im Boden


Außerdem ist für den Betrachter der Blick zur Decke unbequem und er läuft Gefahr, einen Drehschwindel im Kopf zu bekommen. Auch beim Begehen des großen Spiegels am Boden entsteht die Illusion einer schwindelerregenden Tiefe.

Die Deckeninstallation geht leider zu Lasten der Wirkung der Bilder. Deren Betrachtung ist so oder so insgesamt etwas unbequem. Aber die Bilder von Bisky sind ja schließlich auch unbequem. Und das wiederum ist auch gut so.

Bisky mit Besucherin des Künstlergesprächs am 23.01.2020


Quellen:

(1) Zitiert aus dem Katalog Norbert Bisky-Zentrifuge, Hatje/Cantz Verlag 2014, S.77

(2) Zitiert aus meinem Gedächtnisprotokoll und meinen Aufzeichnungen vom Künstlergespräch mit Norbert Bisky am 23. Januar 2020 in der Matthäus-Kirche.

Weiterführende Links:

Tintoretto: Leben und Werk bei Wikipedia

500. Geburtstag des Malers Jacopo Tintoretto. Zu den Ausstellungen in Venedig. Gemälde wie ein Kinofilm von Henning Klüver, Stuttgarter Zeitung vom 21. Oktober 2018  

Über die Ausstellung Norbert Bisky-Zentrifuge, Kunsthalle Rostock

Norbert Bisky-Zentrifuge, Website von Kunst und Film


Sämtliche Fotos, wenn nicht anders gekennzeichnet, Fred Tille.

Obwohl meine Fotos nur allgemeine Ausstellungsansichten und keine expliziten, detaillierten Werkfotos zeigen, bitte ich die Urheberrechte des Künstlers, Norbert Bisky, an seinen Werken zu beachten.