Reichlich verspätet kommt hier die Fortsetzung meines Posts Bisky geht an die Decke!
Im ersten Teil hatte ich davon berichtet wie stark Bisky von den alten Meistern und speziell von den italienischen Manieristen insbesondere von Tintoretto inspiriert wurde.
Als in Venedig 2018 zum 500. Geburtstag des Malers Jacopo Tintoretto zwei große Ausstellungen stattfanden, war klar, dass Bisky einen seiner künstlerischen Favoriten besuchen würde.
Bisky trifft Tintoretto in Venedig
Bisky und Tintoretto haben als Künstler viele Gemeinsamkeiten. Auch Tintoretto lebte in einer Zeit, in der die Welt aus den Fugen geraten war. Die Pest zog durch Europa, Rom wurde von protestantischen Truppen geplündert und die Macht der Republik Venedig begann zu verblassen. Es war eine Welt der Umbrüche, der Auflösung, der zerfallenden Gewissheiten. Wie in einem Spiegel werfen Tintorettos ungebändigte und unruhigen Bilder die religiösen und politischen Stürme dieser Zeit zurück. Er schuf eine aus den Fugen geratene Bilderwelt.
So hat z.B. Tintorettos Abendmahl von 1594 nichts mit dem geordneten Bildaufbau und den ruhig agierenden Personen der Abendmahldarstellung von Leonardo da Vinci gemeinsam.
Abendmahldarstellung
von Leonardo da Vinci 1494-1498 Quelle Foto: Wikipedia, gemeinfrei |
Stattdessen finden wir bei Tintoretto ein für die vorherrschende Malerei der damaligen Zeit ungewöhnliches Chaos und Konfusion vor. Der komplizierte Bildaufbau, die rätselhaft - düstere Farbgebung, die heftigen Bewegungen der Figuren mit ihren verdrehten Körpern - all das bricht mit den herkömmlichen Abendmahls-Darstellungen: unbekümmert, herausfordernd, radikal.
Tintorettos Abendmahl von 1594, Quelle Foto: Wikipedia, gemeinfrei |
Bilder antworten auf Bilder – Vergleiche und Assoziationen
Auch Bisky bevorzugt in seiner Malerei chaotische und unruhige Darstellungsformen. Auf großformatigen Leinwänden sieht man oftmals immer noch strahlende Jünglinge, die zu seinem Markenzeichen geworden sind. Aber sie tummeln sich nicht mehr im Paradies, sie werfen Steine.
Sie sind vermummt wie die Demonstranten beim G20-Gipfel. Sie fallen aus dem Himmel zwischen Palmenzweige, lichterloh brennende Luxushochhäuser und taumelnden Hubschraubern in Rio de Janeiro. Diese bunte, farbenfrohe Welt brennt. Bei Bisky ist die Apokalypse bunt.
Vergleicht man das Figurenszenario in Biskys Deckeninstallation mit Tintorettos innovativen, extravaganten und hochdramatischen Bildkompositionen, stellen sich sofort Assoziationen ein. Auch Bisky zeigt in seiner Deckeninstallation eine Welt aus den Fugen.
Tintorettos Abendmahl im Vergleich zu Biskys Figurenszenario |
Stürzende Menschen aus blauem Himmel
bei Tintoretto. Tintorettos Wunder des Sklaven von 1548, Quelle Foto: Wikipedia, gemeinfrei |
Stürzende Menschen aus blauem Himmel bei Bisky. Big Trilemma, 2017, Ausstellungsansicht aus Trilemma |
Mein Bildervergleich bedeutet natürlich nicht, dass Bisky quasi eins zu eins Kompositionen von Tintoretto für seine Malerei übernimmt. Er weist vielmehr daraufhin, dass Bisky nach eigener Aussage in seiner künstlerischen Tätigkeit auch aus dem Fundus der Kunstgeschichte schöpft:
"Wenn ich mit Pinsel und Ölfarbe vor der Leinwand stehe, beziehe ich mich einfach auf eine viele Jahrhunderte alte Kulturtradition." (1)
Biskys Deckeninstallation in der Matthäus-Kirche
An dieser Stelle möchte ich nun überleiten zu Biskys Deckeninstallation in der Matthäus-Kirche.
„Ich denke viel nach über die Präsentation von moderner Malerei als Deckenbilder. Gerade weil das so aus der Zeit gefallen scheint“,
erklärt Bisky und weiter:
„Ich bin gerne in Kirchen, Moscheen, Synagogen. Da komme ich zur Ruhe, zum Nachdenken über die Welt. Unlängst war ich in Venedig, die Deckenbilder in Kirchen und Palazzi gehen mir nicht aus dem Kopf.“ (2)
Gerade in Venedig schuf Tintoretto über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten zahlreiche Wand- und Deckengemälde auch für den Dogenpalast.
Vielleicht hatte Bisky auch diese Wand- und Deckengemälde in Venedigs Dogenpalast vor Augen, als er für die Berliner Schau mit dem Titel Pompa eine Deckenpräsentation konzipierte.
Zwischen Fernglas und Spiegelkabinett - Tücken der Präsentation
In der Renaissance, der Blütezeit der Deckenmalerei, wurden in der Regel die Malerei und deren Inhalte nach einem einheitlichen Grundentwurf ausgeführt. Auf gewölbten und architektonisch strukturierten Deckenflächen entstanden phantastische Welten, die den Betrachter mit Staunen und Andacht erfüllen sollten. Die raumabschließende Wirkung der realen Decke schien aufgehoben, und der Blick des Betrachters wurde auf einen illusionistischen Raum jenseits der Decke gezogen.
Diese damit verbundene Konstruktion eines perfekten illusionistischen Bildraums gelingt Bisky mit seiner Deckeninstallation nicht. Das war auch nicht beabsichtigt. Obwohl die Bilder von der starken Farbgebung und Motivwahl her für eine Deckenkonstruktion geeignet erscheinen, hängen sie zu hoch. Einzelheiten und Feinheiten sind leider nur sehr schwer erkennbar. Ein ausgelegtes Fernglas und Spiegel im Boden und im Raum sollen diese Distanz überwinden. Die Spiegelung am Boden ist zwar hilfreich, trennt aber quasi als Sekundärblick von der Unmittelbarkeit der Wahrnehmung der Deckenpräsentation.
Oben: Spiegeltisch vor den Sitzreihen. Unten: Begehbarer Spiegel im Boden |
Außerdem ist für den Betrachter der Blick zur Decke unbequem und er läuft Gefahr, einen Drehschwindel im Kopf zu bekommen. Auch beim Begehen des großen Spiegels am Boden entsteht die Illusion einer schwindelerregenden Tiefe.
Die Deckeninstallation geht leider zu Lasten der Wirkung der Bilder. Deren Betrachtung ist so oder so insgesamt etwas unbequem. Aber die Bilder von Bisky sind ja schließlich auch unbequem. Und das wiederum ist auch gut so.
Bisky mit Besucherin des Künstlergesprächs am 23.01.2020 |
Quellen:
(1) Zitiert aus dem Katalog Norbert Bisky-Zentrifuge, Hatje/Cantz Verlag 2014, S.77
(2) Zitiert aus meinem Gedächtnisprotokoll und meinen Aufzeichnungen vom Künstlergespräch mit Norbert Bisky am 23. Januar 2020 in der Matthäus-Kirche.
Weiterführende Links:
Tintoretto: Leben und Werk bei Wikipedia
500. Geburtstag des Malers Jacopo Tintoretto. Zu den Ausstellungen in Venedig. Gemälde wie ein Kinofilm von Henning Klüver, Stuttgarter Zeitung vom 21. Oktober 2018
Über die Ausstellung Norbert Bisky-Zentrifuge, Kunsthalle Rostock
Norbert Bisky-Zentrifuge, Website von Kunst und Film
Sämtliche Fotos, wenn nicht anders gekennzeichnet, Fred Tille.
Obwohl meine Fotos nur allgemeine Ausstellungsansichten und keine expliziten, detaillierten Werkfotos zeigen, bitte ich die Urheberrechte des Künstlers, Norbert Bisky, an seinen Werken zu beachten.