Privater Kunstblog zum Thema:

Künstlerisches Handeln in Zeiten globaler Umbrüche


Die Welt von heute scheint aus den Fugen geraten. Sie ist durch große Unsicherheit, Unübersichtlichkeit und Fragilität, Krieg und Flucht, Terror und Gewalt geprägt. Damit ist die Entwicklung unserer zukünftigen Lebenswelten wieder zu einem bedeutsamen Schwerpunkt in der Kunst geworden. Auch die Erkenntnisse und Prognosen der Techniksoziologie und der Zukunftsphilosophie werden zunehmend als Gegenstand der Kunst entdeckt. Die bildende Kunst, das Theater, die Literatur und der Film reagieren darauf auf unterschiedliche Art und Weise. Mich beschäftigt die Frage, wie kann sich der Künstler, der ja Teil dieser Entwicklungen ist, den sich daraus ergebenden existentiellen Herausforderungen sinnvoll nähern? In diesem Zusammenhang möchte ich meine Bilder aus der Zeit um 5 nach 12 in lockerer Folge vorstellen. Texte zu den globalen Auswirkungen des westlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems ergänzen diese bildlichen Darstellungen. Über Reaktionen von Künstlern, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen, würde ich mich freuen.


Montag, 3. April 2017

Guernica in Berlin | Vor 80 Jahren entstand Picassos berühmtes Antikriegsbild

Vor 80 Jahren schuf Picasso das berühmteste Antikriegsbild der Gegenwart Guernica. Im Auftrag der spanischen Republik sollte er ein eindrucksvolles monumentales Wandgemälde für den Pavillon auf der Pariser Weltausstellung 1937 malen. Mit Picassos Werk wollte die Republik international gegen den faschistischen Putsch-General Franco protestieren, der Spanien erst ein Jahr zuvor in einen blutigen Bürgerkrieg (1936-1939) gestürzt hatte.
Der Spanische Bürgerkrieg endete mit dem Sieg der Anhänger Francos und der Truppen seiner Verbündeten aus Italien und Deutschland. Ihm folgte das Ende der Republik Spanien und die bis zum Tode Francos 1975 anhaltende Diktatur (1939–1976).

Nachbildung des Gemäldes auf Fliesen als Wandbild in Originalgröße in der Stadt Gernika 
 Quelle: Wikipedia | CC BY-SA 3.0


Die Zerstörung der spanischen Stadt Guernica


Guernica, die heilige Stadt der Basken, liegt östlich von Bilbao im Norden Spaniens.
Der Luftangriff auf Guernica am 26. April 1937 durch deutsche Kampfflugzeuge der Legion Condor war eine militärische Operation während des Spanischen Bürgerkrieges im Baskenland. 

Die Legion Condor war für den Hauptteil des Bombardements verantwortlich. Auch das italienische Militär war an der Operation beteiligt. Dieser Luftangriff war der erste Verstoß der deutschen Luftwaffe gegen das Kriegsvölkerrecht.

Durch die Bomben und das anschließende Großfeuer wurden etwa 80 Prozent aller Gebäude zerstört. Hunderte von Menschen wurden durch den Angriff getötet. Die Bombardierung war ein gezielter Schlag gegen die Zivilbevölkerung, um diese im Kampf gegen Franco zu demoralisieren.

Das von der Legion Condor zerstörte Guernica
Quelle: Wikipedia | Bundesarchiv, Bild 183-H25224 | CC-BY-SA 3.0
Es wurden keine Änderungen vorgenommen (Originalbild) 

Das Bild Guernica


Kurz nach Bekanntwerden der Bombardierung Guernicas entwarf Pablo Picasso sein Monumentalgemälde. In schwarzen, grauen und weißen Farbtönen zeigt es den Schrecken jenes Apriltages.

Picasso erreicht durch die Verwendung universeller, bildlicher Elementarformen eine hohe Verständlichkeit. So lässt sich auch erklären, dass Guernica zu einem der am meisten zitierten Bilder der Welt gehört.

Heute befindet es sich zusammen mit einer umfangreichen Sammlung von Skizzen im Museo Reina Sofía in Madrid. Anlässlich des 80. Jahrestages der erstmaligen Veröffentlichung von Guernica zeigt das Museum in der Ausstellung mit dem Titel Mitleid und Schrecken bei Picasso. Der Weg nach Guernica die Entstehungsgeschichte des Bildes. Dieses Bild gilt bis heute als das bekannteste Antikriegsbild der Geschichte.

Guernica in Berlin: Drei Beispiele


Picasso äußerte sich Dezember 1937 zu seiner künstlerischen Haltung folgendermaßen:

„Es ist mein Wunsch, Sie daran zu erinnern, dass ich stets davon überzeugt war und noch immer davon überzeugt bin, dass ein Künstler, der mit geistigen Werten lebt und umgeht, angesichts eines Konflikts, in dem die höchsten Werte der Humanität und Zivilisation auf dem Spiel stehen, sich nicht gleichgültig verhalten kann.“

Diese künstlerischen Haltung ist bis heute zum Leitbild vieler Künstlerinnen und Künstler geworden, die sich der bedeutenden Rolle der Kunst angesichts von Krieg und Gewalt bewusst sind. Anlässlich des 80. Jahrestages der erstmaligen Veröffentlichung des Bildes Guernica möchte ich einige Beispiele aus Berlin vorstellen.


Das erste Beispiel hat nur indirekt mit Kunst aber direkt mit Guernica zu tun. Im gutbürgerlichen Berlin- Zehlendorf gibt es mit dem Guernicaplatz eine Erinnerungsstätte an dieses Verbrechen, das hunderte Opfer unter der Zivilbevölkerung forderte.

Die beiden anderen Beispiele zeigen aktuelle Werke des spanischen Street-art Künstlers Gonzalo Borondo und des Berliner Dokumentarfotografen Kai Wiedenhöfer. Beide Künstler haben viel darüber nachgedacht, wie man Krieg und Migration visualisieren könne.

Borondo hat sich des Flüchtlingsthemas angenommen. Seine Botschaft lautet: "Lasst uns offen sein. Hören wir auf, uns das Drama von der sicheren Seite anzuschauen“.
Wiedenhöfer hat sich dafür entschieden, die Schrecken des Syrienkrieges anhand persönlicher Geschichten zu erzählen.

Borondo und Wiedenhöfer wollen mit ihrer Kunst nicht das Schöne, Hübsche, Glatte und Gefällige ausdrücken. Ihr Kunstverständnis will das Wirken der Realität nicht verleugnen. Durch ihren politischen Kunstanspruch verwandeln sie die Realität in Kunst oder fotografische Dokumentation. Damit schärfen sie beim Betrachter den Blick für unmenschliche Zustände in der Gegenwart. Als Künstler übernehmen sie nicht die Aufgaben des Journalisten, Politologen oder Soziologen. Mit eigener Handschrift machen sie vielmehr eine persönliche Aussage.

Beispiel 1: Guernica-Platz. Gedenken im Grünen in Berlin-Zehlendorf. 


Ein eher unscheinbarer, kleiner Platz, der nicht gerade zum Umherlaufen oder Verweilen einlädt. Die Grünfläche an einer Straßenecke trägt den Namen Guernicaplatz . An der von dichtem Buschwerk bewachsenen Ecke Spanische Allee und Breisgauer Straße befindet sich die gut sichtbare Gedenktafel . Sie wurde im November 1998 aufgestellt.

Originaltext der Gedenktafel:
Die Stadt Guernica wurde von der deutschen Flugstaffel der Legion Condor im spanischen Bürgerkrieg 1937 zerstört.
Dieses Verbrechen forderte viele Opfer unter der Zivilbevölkerung.
Die Spanische Allee erhielt ihren Namen anläßlich der Rückkehr der Legion Condor 1939.

Original text of the memorial tablet:
The city of Guernica was destroyed by the german flight-squadron of the Legion Condor
in the Spanish Civil War in 1937.
This crime prompted many victims among the civilian population.
The Spanish Avenue received its name on the occasion of the return of Legion Condor in 1939.

Zur Zeit des deutschen Luftangriffs hieß die Spanische Allee noch Wannseestraße. Die Umbenennung erfolgte im Juni 1939. Anlass war eine Siegesparade der aus dem Spanischen Bürgerkrieg zurückgekehrten deutschen Soldaten der Legion Condor. Mit dem Namen Spanische Allee sollte an den gemeinsamen Sieg erinnert werden.

Welches Kriegsverbrechen sich hinter dem Namen Spanische Allee verbirgt, ist heute kaum noch bekannt. Der Gedenktafel ist es zu verdanken, dass  an die historischen Hintergründe erinnert wird.

Beispiel 2: In Berlin-Tegel sorgte ein Wandbild für Aufregung und Ärger, in der ein verletztes Mädchen in einer Blutlache steht 


Ein riesiges vom spanischen Künstler Gonzalo Borondo geschaffenes Kunstwerk an einer Hochhauswand in Tegel-Süd erhitzt die Gemüter von zahlreichen Anwohnern an der Neheimer Straße. Das mehr als 42 Meter hohe Wandbild zeigt eine trostlose Waldlandschaft vor düsteren Wolken. Darin steht ein blutüberströmtes Mädchen in seiner eigenen Blutlache. Im Hintergrund ist ein an einen Baum genagelter nackter Mensch zu erkennen.



Ist das Kunst, was dort auf die Hochhausfassaden gemalt ist?
Ja, sagt die Wohnungsbaugesellschaft Gewobag die dem spanischen Street-Art-Künstler den Auftrag erteilt hat. Eine mutige Entscheidung, die dem Wohnungsunternehmen große Proteste eingebracht hat.
Nein, sagen viele Anwohner. Zum Beispiel die Eltern einer gegenüberliegenden Kita. "Es ist sehr, sehr erschreckend. Am schlimmsten ist der aufgespießte Mensch."  

Das Werk ist Teil des Kunstprojektes Artpark Tegel. Geplant sind insgesamt sieben Werke von Straßenkünstlern des Projekts Urban Nation. 

Der Künstler Borondo verteidigt sein Werk auf Facebook. "Ich mache Kunst und keine Dekoration." Auf einer weiteren Website kommentiert der Künstler seine künstlerischen Beweggründe:

„The artist has the responsibility to struggle every time with the facade to offer a message and open a dialogue, but this doesn’t mean that the message has to be universal, immediate or easy to get. Also the process is way more complicated than that and needs to be the result of a real and deep relation build with the community not only by the artist, but prior by the cultural players working in the area. I don’t suggest happiness with bright colors, I make art and not decoration“.  

Sicherlich hätten sich die Bewohner harmlose Bildmotive wie an dieser danebenliegenden Wand gewünscht. 
Collin van der Sluijs and Mr. Super A  


Beispiel 3: Der Berliner Dokumentarfotograf Kai Wiedenhöfer klebt Kriegsbilder aus dem Syrienkonflikt auf die Rückseite der East Side Gallery in Berlin -Kreuzberg/Friedrichshain. 


Seit 2012 ist der Berliner Fotograf Kai Wiedenhöfer immer wieder mit der Kamera in Syrien unterwegs.

Von einer Million verletzten Syrern und Syrerinnen, die seit Beginn des Kriegs in ihrem Land auf der Flucht sind, hat Wiedenhöfer 40 von ihnen in Flüchtlingscamps und Zeltstädten in Jordanien fotografiert. Aber kein Museum, keine Institution wollte die Bilder ausstellen. Um diese Fotos der Öffentlichkeit dennoch zugänglich zu machen, hat er sie an die Berliner Mauer geklebt. 

Auf der von der Straße nicht einsehbaren Rückseite der East Side Gallery zeigte seine Ausstellung WAR on WALL auf 340 Metern Mauerlänge bis zum 25. September 2016 Panoramabilder des zerstörten Syriens und Fotos seiner ehemaligen Bewohner.

Er hat sich dafür entschieden, die Schrecken des Konflikts anhand persönlicher Geschichten zu erzählen. Neben den menschengroßen Porträtfotos der Kriegsverletzten sind ihre Schicksale auf die Mauer geklebt. 


Yumna,6 und Aid,8


Khaled, 17

Zwischen den Menschen sind immer wieder drei mal neun Meter große Panoramaaufnahmen der zerstörten Stadt Kobane zu sehen. Ruinen, Trümmer, Stadtskelette. Sie zeigen die grausamen Zerstörungen eines Krieges, der noch immer nicht beendet ist.



Die Internationale Liga für Menschenrechte hat den Fotografen Kai Wiedenhöfer für seine Zivilcourage und seinen tatkräftigen Einsatz für die Verwirklichung der Menschenrechte sowie für die Aufklärung über Ursachen von Flucht und Migration 2016 mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet.  

WAR on WALL - Ausstellung an der Eastside auf YouTube, 3:10

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Zum Abschluss möchte ich noch einmal auf Picasso zurückkommen. In Anlehnung an Picassos Guernica haben sich bis heute viele Künstler mit diesem Bild auseinandergesetzt. Auch in Form von Graffitis und Murals wie das folgende Beispiel La Buerlinica des Künstlers Cacciatore zeigt.

Im Originaltext seines YouTube Videos schreibt er: „Tribute to Pablo Picasso. A protest as Guernica La Buerlinica. Against all wars and weapon business from 1937-2009."

YouTube Video: La Buerlinica Berlin Wall. By cacciatore 1990/2009. 5:58


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La Buerlinica von Cacciatore an der 
East Side Gallery in Berlin .

Picasso soll auch das letzte Wort gehören.
In der Literatur wird immer wieder ein Dialog im Pariser Atelier Picassos zwischen dem Künstler und einem deutschen Soldaten aus dem Jahr 1944 geschildert. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass dieser Dialog tatsächlich stattgefunden hat. Dennoch bildet er einen guten Schluss:

Der Soldat erblickte eine verkleinerte Reproduktion des Bildes Guernica und fragte:
„Haben Sie das gemacht?“ Picasso antwortete: „Nein, Sie!“ (1)

Quellennachweise:

(1) Holger Liebs: Picassos „Guernica“ wird 70 – Der unsichtbare Feind. In: Süddeutsche Zeitung. 19. Mai 2010 

Sämtliche Fotos: Fred Tille mit Ausnahme der Foto-Einzelnachweise