Chiharu Shiota lebt und
arbeitet seit 1996 in Berlin. Hier studierte sie auch an der
Universität der Künste. Sie durchlief eine klassische Ausbildung
als Malerin, fühlte sich aber zu sehr durch die Leinwand
eingeschränkt. Shiota zog es in den dreidimensionalen Raum. Heute
stellt Chiaharu Shiota ihre Installationen international aus, in
Galerien, Museen und auf Biennalen. Mit ihrem monumentalen Kunstwerk
The Key in the Hand repräsentierte sie Japan auf der Biennale
di Venezia 2015.
Berlin ist seitdem zu ihrer zweiten
Heimat geworden. Für Chiharu Shiota ist die Stadt voller
Inspirationsquellen. In Berlin findet sie viele Geschichten. „Es
[ist], unglaublich wie viele Erinnerungen diese Stadt [birgt]“
erzählte die Künstlerin in einem Interview.
Zwei Begegnungen mit Chiharu Shiota
Das erste Mal begegnete ich dem Werk
Chiharu Shiotas 2015 in Venedig. Unter dem Titel The Key in the
Hand repräsentierte sie Japan auf der Biennale di Venezia 2015.
Das zweite Mal begegnete ich dem Werk
Shiotas 2016 in der Berliner Galerie Blain|Southern, in der eine neue
großflächig angelegte, speziell auf die Räumlichkeiten abgestimmte
Installation mit dem Titel Uncertain Journey präsentiert
wurde. Für Chiharu Shiota war es nach acht Jahren wieder eine
Einzelausstellung in Berlin und dementsprechend war das
Publikumsinteresse sehr groß. Ich war nach The Key in the Hand
in Venedig natürlich auch gespannt auf die neue Großinstallation in
Berlin.
Hier eine Gegenüberstellung der beiden
Werke:
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Links: Venedig |
Rechts: Berlin
In Venedig setzte die
Künstlerin alte, möglicherweise noch fahrtüchtige Holzboote ein.
In Berlin sehen sie als Stahlgerippe wie gesunkene Boote aus. Auf die
Frage, warum sie bei Uncertain Journey im Vergleich zu Venedig quasi
nutzlose, skelettartige Boote verwendet hat, antwortet Shiota: „In
Venedig war es das erste Mal, dass ich ein Boot in meiner Arbeit
verwendet habe. Boote sind immer unterwegs und befördern Menschen-so
sind auch wir in gewissem Sinne immer in einem Boot – bereit
loszufahren, ohne genau zu wissen, wo wir hinwollen. Das ist die
Idee, die ich mit dem Boot zum Ausdruck bringen will. Und die Boote
befinden sich in einem roten Ozean aus Fäden, die alle miteinander
verbunden sind. So wirkt die Installation wie das Universum.“ (1)
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Die Macht der Marke | Rote und
schwarze Wollfäden zum labyrinthischen Fadengespinst verwoben
Chiharu Shiotas Markenzeichen sind die
Wollfäden. Sie spinnt mit ihren Wollfäden Dinge ein, die nicht
vergessen werden sollen, Klaviere, Stühle, Kleider, Schuhe, und mit
ihnen auch die Empfindungen und Gefühle der Menschen, die diese
Dinge einst besaßen. Die japanische Künstlerin will festhalten, was
vergänglich ist.
Nicht um es zu fesseln, sondern um es zu schützen
und zu erhalten. Viele Betrachter assoziieren mit den Stühlen,
Kleidern und Schuhen Themen, die mit Flucht und Verlust zu tun haben.
Doch diese Interpretation greift zu kurz.
Mit ihren Kunstobjekten
berührt Shiota Grundfragen menschlicher Existenz: Werden und
Vergehen. Ankommen und Wegfahren. Sicherheit und Unsicherheit.
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Schlüssel als
bedeutungsgeladene Objekte gehören fest zu Shiotas Repertoire.
Venedig: Keys in the
Hand: 50.000 alte Metallschlüssel hängen in diesem Netzwerk. Alles
echte Schlüssel, die Museen auf der ganzen Welt für die Künstlerin
gesammelt haben. Für Shiota ist es wichtig, dass die Schlüssel eine
Geschichte, einen Bezug zu Menschen haben. „Der Schlüssel
beschützt das Leben“ erklärt die Künstlerin in einem Interview.
Schutz auch für Venedig, als Metapher für die untergehende
Lagunenstadt?
Berlin: State of Being (Keys) Hier hat Shiota viele alte Schlüssel
in ihre Fadenwelt mit aufgenommen, die fast im freien Fall zu sein
scheinen, aber von den Fäden aufgefangen werden.
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Uncertain Journey
Als ich den Ausstellungsraum betrat,
war der erste Blick auf die sieben Meter hohe und 29 Meter breite
Installation aufgrund seiner Größenwirkung beeindruckend. Die
blutroten direkt und indirekt beleuchteten Wollfäden entfalten in
dem großen, hohen Galerieraum intensiv leuchtende Farben und eine
faszinierende Lichtstimmung.
Auf mich hatte diese komplexe und
mehrschichtige Fadenkonstruktion eine kontemplative Wirkung. Ich
empfand einen Raum der Stille. Dieser Eindruck wurde noch dadurch
verstärkt, dass nur wenige Meter vom Innenhof, in dem sich die
Galerie befindet, die belebte und verkehrsreiche Potsdamer Straße
vorbeiführt.
Ich bewegte mich deshalb zunächst ziemlich frei und
unvoreingenommen von vorher publizierten inhaltlichen
Interpretationsangeboten in der Installation.
Durch Zufall gab es während der
Laufzeit von Uncertain Journey auch ein Ausstellungsprojekt
der Akademie der Künste Berlin mit dem Titel Uncertain States
zu sehen. Über diese hochinteressante Veranstaltung werde ich
demnächst berichten. Hierbei geht es nicht nur um das Uncertain
in beiden Ausstellungstiteln. Diese große Veranstaltungsreihe in der
Akademie der Künste fragt, was Kunst in Umbruchsituationen antreibt
und ist damit „eine Ausstellung, in der die Bedeutung des Erinnerns
und Erzählens für den Prozess gesellschaftlicher und kultureller
Transformation befragt wird.“ (2) Künstler übernehmen die
Verantwortung für die „Geschichten der Anderen.“ Mit der
Betonung des Erinnerns und Erzählens gibt es viele Schnittmengen mit
den Kernthemen von Shiotas Werk, die in ihren Wollfäden auch
Erinnerungen und Dinge einspinnt, deren Geschichten einen direkten
Bezug zu Menschen haben und die nicht vergessen werden sollen.
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Uncertain Journey | Blick in die Ausstellung |
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Uncertain Journey | Blick in die Ausstellung |
Chiharu Shiota selbst erkennt in dem
Fadengespinst von Uncertain Journey auf
dem Kopf stehende Wellen. Nach eigener Aussage verwendet die
Künstlerin hier das Motiv des Bootes, um die Ungewissheit unseres
Lebens und den Versuch, Kontrolle über das eigene Leben zu gewinnen,
bildhaft darzustellen.
Wohin die Reise geht, bleibt unklar. Ob nun zu
einem anderen Kontinent oder ins eigene Unterbewusstsein, das ist der
Vorstellung jedes Besuchers überlassen.
Kleinere Werke im 2. Stock der
Galerie
Im 2. Stock der Galerie werden acht
kleinere Arbeiten gezeigt. Hierzu geht der Besucher über einen Steg
in den Ausstellungsraum.
Von diesem Steg blickt er auf die
armdicken Befestigungsstränge der Wollfäden in den Saal hinunter.
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An der oberen Bildkante
ist der Steg zu sehen. Von dort blickt der Besucher auf die armdicken
Befestigungsstränge der Wollfäden in den Saal hinunter.
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Zu sehen gibt es vier kleinere
Skulpturen und vier wandhängende dreidimensionale Arbeiten.
Diese kleinen Arbeiten haben es schwer
gegen die kolossale Installation im darunterliegenden Stockwerk
anzukommen.
Auf mich wirkten diese Kleinobjekte deshalb auch etwas
kunsthandwerklich.
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State of Being (Keys),
2016, 150x100x75 cm, Metal frame, keys, thread
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Strange Home 1 und 2,
Metal frame, thread, 2016
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Skin, 2016, Thread on
canvas, 166x153 cm
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Am Ende wird alles zerschnitten
„Nach einer Ausstellung zerschneide
ich die ganze Installation und sie existiert nicht mehr, so dass ich
sie von neuem machen müsste. Meine Arbeit lebt nur in der Erinnerung
der Menschen weiter.“ (2)
Welche Erinnerung wird von Uncertain
Journey bleiben? Eine Reise ins Ungewisse?
Shiharu Shiota
Geboren 1972 in Osaka, Japan
Shiota studierte von 1992 bis 1996 an
der Seika-Universität Kyōto.
1999 wechselte sie an die Universität
der Künste Berlin und beendete ihr Studium dort 2003.
Von 2010 bis 2013 war sie
Gastprofessorin an der Seika-Universität Kyōto und 2011 am
California College of the Arts. (3)
Blain|Southern
CHIHARU SHIOTA | UNCERTAIN JOURNEY
17 September 2016 – 12 November 2016
Berlin
Galerie Blain|Southern
Potsdamer Straße 77–87
10785
Berlin
+49 (0)30 6449 31510
berlin@blainsouthern.com
Weiterführende Links:
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Chiharu Shiota, Uncertain Journey
at Blain|Southern Berlin
Erklärungen der Künstlerin und Bilder
vom Aufbau der Installation
Quellen:
(1) Begleitmaterial zur Ausstellung.
Chiaru Shiota im Gespräch mit Craig Burnett, Blain|Southern
(2) Begleitmaterial zum
Ausstellungsprojekt der Akademie der Künste Berlin mit dem Titel
Uncertain States
(3) Wikipedia
Sämtliche Fotos: Fred Tille
Obwohl meine Fotos nur allgemeine
Ausstellungsansichten und keine expliziten, detaillierte Werkfotos
zeigen, bitte ich die Urheberrechte der Künstlerin, Shiharu Shiota
an ihren Werken zu beachten.
Courtesy of Galerie Blain|Southern