Privater Kunstblog zum Thema:

Künstlerisches Handeln in Zeiten globaler Umbrüche


Die Welt von heute scheint aus den Fugen geraten. Sie ist durch große Unsicherheit, Unübersichtlichkeit und Fragilität, Krieg und Flucht, Terror und Gewalt geprägt. Damit ist die Entwicklung unserer zukünftigen Lebenswelten wieder zu einem bedeutsamen Schwerpunkt in der Kunst geworden. Auch die Erkenntnisse und Prognosen der Techniksoziologie und der Zukunftsphilosophie werden zunehmend als Gegenstand der Kunst entdeckt. Die bildende Kunst, das Theater, die Literatur und der Film reagieren darauf auf unterschiedliche Art und Weise. Mich beschäftigt die Frage, wie kann sich der Künstler, der ja Teil dieser Entwicklungen ist, den sich daraus ergebenden existentiellen Herausforderungen sinnvoll nähern? In diesem Zusammenhang möchte ich meine Bilder aus der Zeit um 5 nach 12 in lockerer Folge vorstellen. Texte zu den globalen Auswirkungen des westlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems ergänzen diese bildlichen Darstellungen. Über Reaktionen von Künstlern, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen, würde ich mich freuen.


Montag, 26. Oktober 2015

Der Löwe ist los! Peter Doig in Venedig

Wenn der Betrachter in den Bilderkosmos eines Peter Doig eintaucht, erlebt er eine Welt, die in ihrer Art einen ganz eigenen Sog entwickelt. Doig zeigt zwar reale Motive, die er aber jenseits eines platten Realismus ins Rätselhafte und Geheimnisvolle übersetzt. Mit einer Auswahl neuer Werke war Doig, einer der bekanntesten und teuersten Künstler unserer Zeit, in einer Einzelschau während der Biennale di Venezia 2015 in der Galleria der Fondazione Bevilacqua la Masa mit vielen neuen Werken vertreten.


Zwei Begegnungen mit Peter Doig


Das erste Mal begegnete ich dem Werk Doigs 2009 in der Berliner Galerie Contemporary Fine Arts.
Unter dem Titel Peter Doig -not for sale zeigte die Einzelausstellung eine Auswahl von Bildern der letzten 20 Jahre aus deutschen Museen und internationalen Privatsammlungen. Für Peter Doig war es nach 10 Jahren seine erste Einzelausstellung in Berlin und dementsprechend war das Publikumsinteresse sehr groß. Kernstück der Galerieausstellung waren 140 Filmplakate, die Doig für seinen wöchentlichen Studiofilmclub in Port of Spain, Trinidad, gemalt hat. Contemporary Fine Arts präsentierte sie zum ersten Mal vereint.
Der Künstler ist ein großer Filmfan und den Filmclub hatte er betrieben, um dem Publikum Filme zu zeigen, die es sonst dort nie zu sehen bekommen hätte. Einmal die Woche wurden in seinem Atelier in einer alten Rumfabrik Avantgardefilme, Klassiker und karibisches Kino präsentiert.
Die dazu von Doig gemalten jeweils aktuellen Poster sind ganz anders als seine Gemälde schnell und spontan entstanden. Er gibt dabei nicht etwa eingängige Filmszenen wieder, sondern Assoziationen, die er bei Filmen wie Taxi Driver oder Blue Velvet hat. Seine Filmplaklate kommentiert Doig so: 
Wenn wir ein Bild betrachten, versuchen wir, dem Alltäglichen zu entkommen.

Über diese unscheinbare Treppe betritt der Besucher die historischen Räume des 

Das zweite Mal begegnete ich dem Werk Doigs 2015 in Venedig. Die Fondazione Bevilacqua La Masa zeigte im Palazzetto Tito 14 Arbeiten, die Doig in den letzten drei Jahren produziert hatte und die bisher noch nicht in der Öffentlichkeit zu sehen waren. Es war die erste Solo-Präsentation des Künstlers in Italien in Verbindung mit der Biennale in Venedig. Der Künstler selbst hatte vor Jahren den Wunsch geäußert in den Räumlichkeiten des Palazzetto Tito eine Solo - Exhibition zu präsentieren. Wunderbar verteilt in den historischen Räumen des Palazzetto, zeigt Doig neue, auf Trinidad entstandene Bilder. Entsprechend exotisch die Motive, türkisfarbenes Meer, traumhafte Figuren, cobaltblau der Himmel.
Hier eine Auswahl der gezeigten Bilder.

Night Studio, 2015, Oil on Canvas, 296x200cm

Rechts: Speaker/Girl, 2015, Oil and distemper on canvas, 295x199,5cm


Von Kanus und Löwen


Kanus sind ein zentrales und wiederkehrendes Motiv im Werk Doigs. Kanus malt er bereits seit Ende der achtziger Jahre: Sein wichtigstes Motiv, das er seit 1990 immer weiter variiert hat. Das wohl berühmteste Kanubild heißt White Canoe. Nach eigener Aussage hat er das Motiv dem legendären Horrorfilm Freitag der 13. entnommen. In dessen Schlussszene träumt die letzte Überlebende eines Ferienlagermassakers, wie sie in einem weißen Kanu auf einem glatten See treibt, in dem sich die Herbstlandschaft horizontal spiegelt. In der Spiegelung durchdringen sich Innen- und Außenwelt, Fiktion und Realität. Die Figuren wirken oft wie ausgesetzt und verlassen in irrealen Umgebungen. So bildet auch in seinem Werk Echo Lake eine Filmszene aus demselben Horrorfilm die Bildbasis. Doigs Version zeigt einen Mann, mit den Armen einen Schalltrichter formend, allein am Ufer eines Sees, hinter ihm ein Streifenwagen. Nach wem ruft dieser Mensch, was war vorgefallen und was wird folgen?
Eine sehr gute Gegenüberstellung der filmischen Inspirationsquellen von White Canoe und Echo Lake ist im Vergleich mit Filmstills aus Freitag der 13. auf der Website von Claire Cameron zu finden (Text in Englisch/English Version).
Die atmosphärische Dichte der ein wenig unheimlichen Szenen ist eine Qualität der Bilder, die zerlaufenden Farben und Übermalungen betonen das Befremdliche und Unerklärliche daran. 

Von Kanus und Löwen: Zwei Kleinformate in der Ausstellung zeigen die Motive exemplarisch





Spearfishing, 2013, Oil on linen, 288x200cm, Venedig

Auch in Venedig begegnen wir diesen Motiven wieder. Neben den Kanubildern gibt es auffällig viele Löwenbilder. Insgesamt habe ich vier Bilder mit einem Löwen gezählt. Allerdings haben sie nichts mit dem venezianischen Wappentier zu tun-wie man angesichts der Örtlichkeit - vielleicht annehmen könnte. Tatsächlich liegen die Inspirationsquellen in Trinidad. Hierzu schreibt der Künstler: Ich habe viele Fotos von den Löwen im Zoo in Trinidad gemacht - dem ersten Zoo mit dem ich als Kind aufgewachsen bin. Es hat sich nicht viel geändert. Die Idee für den Löwen kommt von Darstellungen des Rastafarischen Löwen von Juda, die ich an den Wänden von Gebäuden, verzinkten Zäunen und T-Shirts in Port of Spain gesehen habe. Ich habe mich auf die verschiedenen Interpretationen dieser mythischen Figur bezogen. (1) Bei Rain in the Port of Spain wird die gelbe Gefängnismauer von Port of Spain zur Wand eines Käfigs, in dem ein Löwe lauert, eine schemenhafte Figur tritt hinzu, in der Ferne setzt ein Leuchtturm ein Signal – eine surrealistische Szenerie, die an de Chirico erinnert. 

Links: Young Lion, 2015, Oil onlinen, 121x162cm | Rechts: Rain in the Port of Spain (White Oak), 2015, Distemper on linen, 301x352cm

Lion in the Road, 2015, Oil and distemper on linen, 200x276cm

Einsam, verlassen, unheimlich. Der Bilderkosmos von Peter Doig


Die Werke Peter Doigs sind fantastische Expeditionen in eine wunderbare Welt. In ihr blüht die Natur in kraftvollen Farben. Allerdings nur vordergründig. Doig geht es nicht um den Entwurf eines Paradieses. Er sucht in seiner Kunst die Nähe zu jener Grenze, hinter der das Bedrohliche lauert. Überall verbergen sich auch Schatten und Abgründe, welche die Individuen in ihrer vermeintlichen Idylle bedrohen. Realität und Absurdität sind eng miteinander verbunden. Seine Bilder behandeln Stadien des Übergangs. Wasser als die schillernde Oberfläche der Unterwelt, das Boot als Symbol des Übertritts in ein Schattenreich, aber auch das für Doigs Landschaftsbilder typisch Schemenhafte der Figuren suggeriert die Existenz von seelischen Dunkelzonen. Es sind Gegenwelten zu einer desillusionierten Gegenwart, die Doig entwirft. Darin steckt auch ein Stück Gesellschaftskritik des Künstlers. Folgerichtig antwortet Doig auf die Frage, ob insbesondere seine mysteriösen Landschaftsbilder etwas Unheimliches und im Irgendwo lauernde Gefahren beinhalten: 
Unsere Welt ist dunkel und gefährlich. Als Künstler kann man das nicht ignorieren.

Rechts: Horse and Rider, 2014 Oil and distemper on canvas, 240x360cm


Peter Doig

Peter Doig ist ein schottischer Maler, der 1959 in Edinburgh geboren wurde.
Seine Kindheit war vor allem durch häufige Umzüge geprägt.
1962 zog die Familie nach Trinidad, 1966 dann nach Kanada.
Im Jahr 1979 ging er nach London. Er interessierte sich für ein Studium als Bühnenbildner, entschied sich dann aber für Malerei und studierte an der Wimbledon School of Art, von 1980 bis 1983 an der St Martin’s School of Art (Abschluss als B.A.), von 1989 bis 1990 am Chelsea College of Art and Design (Abschluss als M.A.).
Von 1995 bis 2000 war er Kurator der Tate Gallery in London.
Im Jahr 2002 übersiedelte er mit seiner Frau Bonnie und den fünf Kindern nach Port of Spain, Trinidad.
Seit 2005 ist er Professor für Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf. (2)

Hollands Deep & 1-2-3-4
C/O Galerie in Berlin


Ausstellung:
05/05-04/10/2015
Peter Doig
Fondazione Bevilacqua La Masa
Palazzetto Tito
Venedig

Palazetto Tito | Venedig

Weiterführende Links:

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Interview mit Peter Doig: Famous artists' are quickly forgotten' | YouTube/05.00





Quellen: (1) Galerie Michael Werner/Übersetzung: Fred Tille
             (2) Wikipedia

Sämtliche Fotos: Fred Tille

Obwohl meine Fotos nur allgemeine Ausstellungsansichten ohne explizite, detaillierte Werkfotos zeigen, bitte ich die Urheberrechte des Künstlers, Peter Doig, an seinen Werken zu beachten.

Courtesy of Fondazione Bevilacqua La Masa
Palazzetto Tito