Privater Kunstblog zum Thema:

Künstlerisches Handeln in Zeiten globaler Umbrüche


Die Welt von heute scheint aus den Fugen geraten. Sie ist durch große Unsicherheit, Unübersichtlichkeit und Fragilität, Krieg und Flucht, Terror und Gewalt geprägt. Damit ist die Entwicklung unserer zukünftigen Lebenswelten wieder zu einem bedeutsamen Schwerpunkt in der Kunst geworden. Auch die Erkenntnisse und Prognosen der Techniksoziologie und der Zukunftsphilosophie werden zunehmend als Gegenstand der Kunst entdeckt. Die bildende Kunst, das Theater, die Literatur und der Film reagieren darauf auf unterschiedliche Art und Weise. Mich beschäftigt die Frage, wie kann sich der Künstler, der ja Teil dieser Entwicklungen ist, den sich daraus ergebenden existentiellen Herausforderungen sinnvoll nähern? In diesem Zusammenhang möchte ich meine Bilder aus der Zeit um 5 nach 12 in lockerer Folge vorstellen. Texte zu den globalen Auswirkungen des westlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems ergänzen diese bildlichen Darstellungen. Über Reaktionen von Künstlern, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen, würde ich mich freuen.


Samstag, 13. Februar 2016

It’s Only Rock ’n’ Roll | Anton Corbijn in Berlin

Anton Corbijn ist der Fotograf, dem die Stars des Rock und Pop vertrauen. Ob Mick Jagger, Frank Sinatra, Johnny Cash, U2, Nirvana, Nick Cave, Tom Waits, Metallica, Johnny Rotten, Depeche Mode oder Herbert Grönemeyer - er hatte sie alle vor seiner Kamera. Dabei bürstet er das Image der Rockstars, die er am liebsten ablichtet, kräftig gegen den Strich. Seine meist körnigen Schwarzweißbilder von Rockmusikern zeigen Kratzer an der Oberfläche, die Bildausschnitte wirken zufällig, die Komposition und Farbgebung unperfekt. Bewusst und mit voller Absicht verweigert sich der Fotograf formal und inhaltlich der Versuchung nur den üblichen Glamourfaktor abzubilden. Corbijn kann mit den Stars machen, was er will. Die Fotos sind die Stars. 

Das Plakat im Eingangsbereich der Ausstellung zeigt den jungen Corbijn. Das eigene junge Gesicht ist dabei malerisch von einem schwarzen Rahmen umgeben, der wie mit Tusche gemalt zu sein scheint. Der Schriftzug Anton hinter seinem Kopf ist halb durchgestrichen. Das Ganze wirkt wie eine Geste ins Ungewisse und eher wie Malerei als Fotografie.


Zum 60. Geburtstag von Anton Corbijn widmete das C/O Berlin dem Fotografen eine große Retrospektive. Mit 500 Fotografien zeigt die Ausstellung seine Entwicklung vom autodidaktischen Beginn zu einem der einflussreichsten Fotografen der Gegenwart.
Die Ausstellung bestand aus zwei Teilen: Hollands Deep bietet einen Überblick über sein gesamtes Werk der vergangenen 40 Jahre.
1-2-3-4 präsentiert seine Arbeiten aus der Musikwelt. Porträts und ganze Band-Studien entfalten sich hier.

Corbijn ist in seinem künstlerischen Auftritt zurückhaltend. Die Ausstellungsarchitektur wirkt angenehm sachlich und bewusst unterkühlt. Umso mehr Fotografien hängen eng neben - und übereinander. In 40 Jahren Schaffen kommt so einiges zusammen. Gut für den Besucher, denn er bekommt im wahrsten Sinne des Wortes wirklich etwas zu sehen.



Ich habe mir die Ausstellung angesehen und war sehr beeindruckt von der Authentizität der Künstlerportraits. Den grobkörnigen Bildern merkt man an, dass der Fotograf eine enge menschliche Beziehung zu den Portraitierten hatte. Die Fotografien von Musikern, Künstlern und kulturellen Ikonen sind immer Bilder, die unter die Oberfläche gehen. >Ich habe immer nach der inneren Schönheit und innerem Kampf gesucht <. So umschreibt Corbijn seine fotografische Herangehensweise und Ästhetik. Und genau dieses Ringen zwischen innerer Schönheit und innerem Kampf spricht den Betrachter seiner Fofografien unmittelbar an.
An dieser Stelle möchte ich einen kurzen Filmbeitrag (5:03) mit Impressionen und Statements des Künstlers und der Ausstellungsmacher anlässlich der Eröffnung der Retrospektive in Berlin einfügen.

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»Es fällt mir schwer, lächelnde Bilder zu machen.« A.C.


In der Ausstellung ist mir kein Bild in Erinnerung, auf dem gelächelt wurde. Corbijns Fotos wirken sehr ernsthaft und verbreiten eine existentielle Grundstimmung. Er erklärt diese existentielle Seite seiner Kunst mit den frühen Prägungen seines protestantischen Elternhauses, in dem die religiöse Beziehung zwischen Leben und Tod immer eine große Rolle spielte. Diesen biografischen Hintergrund wollte Corbijn mit seiner Hinwendung zur Fotografie überwinden. Das ist ihm nach eigenem Bekunden aber nicht wirklich gelungen. Heute akzeptiert er diese Ernsthaftigkeit, die aber im kreativen Sinne dazu geführt hat, dass seine Fotos >eine tiefe Verletzlichkeit und große Vertrautheit (...) flüchtige, vielschichtige und unendlich fesselnde Nuancen von Initimität< ausstrahlen (1). Als Fotograf und Regisseur porträtiert Anton Corbijn seit bald 40 Jahren Musiker, Schauspieler, Schriftsteller und Persönlichkeiten des Kulturlebens. Viele seiner Bilder sind längst zu Ikonen geworden. Im Folgenden zeige ich Beispiele aus dem Ausstellungsteil  1-2-3-4 . 
Hier präsentiert er seine Arbeiten aus der Musikwelt. Porträts und ganze Band-Studien entfalten sich hier.  



Rolling Stones


Herbert Grönemeyer


Nirwana


Tom Waits

Blicke in den zweiten Ausstellungsteil Hollands Deep

Blicke in den Ausstellungsteil: Hollands Deep: An einer gewaltigen Bildwand hat er 57 Portraitfotos von Künstlern wie Vanessa Paradise, Frank Zappa, Georg Baselitz, Isabella Rossellini, Willem Dafoe, Marianne Faithfull, Jonny Depp u.a. versammelt. Eine gigantische Galerie zur Geschichte des Rock und Pop und der darstellenden und bildenden Künste.


Ausschnitt von der Bildwand


Während seiner Arbeit an der Serie Star Trak erweiterte Corbijn erstmals sein Bildpersonal um interessante Menschen aus Film, Mode, Kunst, Wissenschaft und Literatur.

Links: Bernd und Hilla Becher, Rechts: Kate Moss

Linke Seite: Steven Spielberg, David Lynch, Rechte Seite: Herbert Grönemeyer, Michael Schumacher


V.l.n.r.: Luc Tuymans, Lucian Freud, Peter Doig, John Baldessari



»Die Wirklichkeit ist nun mal nicht perfekt....Ich lasse etwas Zufälliges, Unperfektes zu, damit alles in der Schwebe bleibt. Denn es zeigt, wie zerbrechlich wir sind.« A.C.



Corbijn arbeitet fast nur schwarz-weiß und bis heute meist analog auf Film. Erst jetzt beginnt er mit dem Experiment, seine Negative zu scannen und digital zu bearbeiten. Der Rechner ist dann für ihn die beste Dunkelkammer, die ein Fotograf haben kann. Er kombiniert damit > das Beste aus beiden Welten<.

Für Anton Corbijn ist das Analoge im Prozess des Fotografieren aber elementar geblieben. Zum Fotografieren geht er raus und macht mit dem vorhandenen Tageslicht seine Bilder. Erst beim Entwickeln erkennt er einige Tage später, was auf dem Film tatsächlich vorhanden ist. Mit dieser Methode vermeidet Corbijn den Versuch, ein Bild immer noch perfekter zu machen. Photoshop und die Versuchungen der digitalen Fotografie sind ihm ein Greuel.

Manchmal steht der Porträtierte außerhalb der klassischen Bildmitte. Die grobkörnigen monochromen Bilder wirken unscharf, manchmal etwas verwaschen. Dadurch entsteht eine tiefe Melancholie. Das Unperfekte ist das stilistische Markenzeichen seiner Fotokunst. Hierzu möchte ich folgendes Beispiel zeigen:

Linkes Bild: Peter Gabriel am Rande des Geschehens als eine verschwommene Figur am Ende einer kurvigen Straße. Wohin führt sein Weg? Rechtes Bild: Die Bildikone mit Miles Davis


»Die Kamera hat mir den Weg ins Leben eröffnet « A.C.


Corbijn wuchs auf einer Insel an der niederländischen Küste auf. Sein Vater war Pfarrer und er ein Einzelgänger, der sich mit Musik in die Welt hinausträumte.
Anton Corbijn nimmt mit 17 Jahren zum ersten Mal eine Kamera in die Hand, um in Groningen die lokale Musikgruppe Solution bei einem Konzert zu fotografieren. In diesem Augenblick sei ihm klar geworden, dass er seine Insel verlassen musste, um zu dieser magischen Welt zu gelangen.
In seiner Serie a.somebody greift Corbijn dieses Thema der Flucht über die Fotografie in die Welt der Musik auf. Hierzu ein Beispiel.

Für dieses Projekt a.somebody kehrte er an seinen Geburtsort zurück. Mit Hilfe von Kleidung, Perücken und Schminke verwandelt er sich zum Beispiel in Elvis Presley (Bild. links) und Janis Joplin (Bild: rechts). Elvis Corbijn steht mit seinen blendend weissen Stiefeln im Dreck inmitten eines Schrottplatzes. Hierzu steht der lilafarbene Straßenkreuzer, der auf einem der Container steht, in einem herrlichen Kontrast. In seiner Hommage an Janis Joplin trägt er eine wallende Perücke und Hippieoutfit und schaut durch rot-runde Brillengläser. Verstorbene Musiker, die er sehr schätzte. Mit diesen Verwandlungen verarbeitet er auch die frühen Prägungen seines protestantischen Elternhauses, in dem die religiöse Beziehung zwischen Leben und Tod eine große Rolle spielte. Indem er a.Presley und a. Joplin wird, zeigt er seine Identifikation mit der internationalen Musikszene und dokumentiert seinen fotografischen Fluchtweg aus dem isolierten Strijn in die weite Welt. Dort sollte er letztendlich a.somebody werden.

»Keiner konnte damals ahnen, dass diese Bilder zu Ikonen werden«. A.C. (2)


Dieses Zitat von Corbijn bezieht sich auf das wohl berühmteste Foto von James Dean, das ihn in am New Yorcker Times Square im Regen zeigt. Das gilt sicherlich aber auch für Corbijns legendäres Miles-Davis-Foto, aufgenommen 1985 in Montreal.
Corbijn war damals für Davis ein unbekannter Fotograf von irgendeinem Musikmagazin. Sechs Minuten wurden ihm für das Shooting gewährt, das in einem Hotelzimmer stattfand.
Er bat Miles Davis für sein Foto einmal das Gesicht mit seinen Händen zu zerknautschen.
Diese spontane unter Zeitdruck entstandene Inszenierungsidee bannte Corbijn fotografisch als einen ungewöhnlich intensiven Moment persönlicher Authentizität.
Corbijn ist kein Freund von Studioaufnahmen und ausgerechnet das Miles-Davis-Foto als eines der untypischeren wurde so zur Ikone, das Corbijn es auch als Header für die Ausstellungswerbung besonders herausstellt.

In der Retrospektive kann man das Miles-Davis-Bild gleich zweimal sehen. Hier ist es als überlebensgroßer Ausschnitt, aufgezogen auf einer Wand, die den Weg zur Ausstellung weist, zu sehen. Die Vergrößerung betont die tellergroßen Pupillen des Jazzmusikers, in denen sich Corbijns Silhouette spiegelt. Ein Bild, das gleichzeitig Porträt und Selbstporträt ist, es zeigt den Meister in seiner Ikone.

Zum 60. Geburtstag von Anton Corbijn bespielt das C/O Berlin erstmals das ganze Haus mit 500 Fotos von Miles Davis bis U2.
C/O Berlin zeigte die Ausstellung als einzige Station in Deutschland.

Zu beiden Teilen der Retrospektive ist jeweils ein eigener Katalog erschienen:
Hollands Deep bei Schirmer/Mosel und 1-2-3-4 bei Prestel.

Hier noch einige Blicke in die Ausstellung.

Eingang zur Ausstellung 1-2-2-4

Blick in den Ausstellungsteil: 1-2-3-4

Blick in den Ausstellungsteil: Hollands Deep



Blick in den Ausstellungsteil: Hollands Deep


Anton Corbijn
wurde am 20. Mai 1955 als Sohn des Pfarrers von Strijen geboren. In einem Interview bekannte er, dass er tief protestantisch geprägt sei. Seine Fotografie bezeichnet Corbijn als protestantisch
Im Alter von neunzehn Jahren wurde er freier Fotograf. 

Bekannt wurde er mit seinen Fotos von Popkünstlern und anderen Prominenten. Das erste Foto, das von ihm in einem Musikmagazin abgedruckt wurde, stammt vom Auftritt der Band Solution in Groningen 1972.
Darüber hinaus stammen viele Plattencover aus der Hand von Corbijn, so zum Beispiel von U2.
Mit den Bands Depeche Mode und U2 ist Corbijn eng verbunden. Beide Bands begleitet er bereits seit vielen Jahren als Art Director.

Corbijn führte Regie bei zahlreichen Musikvideos. Für das Video zu Heart Shaped Box der US-amerikanischen Rockband Nirvana erhielt er 1994 einen MTV-Award.

Am 10. Januar 2008 lief Corbijns erster Spielfilm Control, der die Geschichte von Ian Curtis, dem Sänger der Band Joy Division, erzählt, in den deutschen Kinos an.

2012 wurde er in die Wettbewerbsjury der 62. Internationalen Filmfestspiele von Berlin berufen.

In den letzten Jahren liegt sein Fokus auf Spielfilmen. Als Regisseur von Control (2007), The American (2010), A Most Wanted Man (2014) und Life (2015) ist er weltweit bekannt geworden.

Anton Corbijn lebt in Den Haag und arbeitet immer dort, wo es etwas zu fotografieren oder zu inszenieren gibt. (3)

Ausstellung:
07/11/15 bis 31/01/16
Anton Corbijn . Retrospektive
Hollands Deep & 1-2-3-4
C/O Galerie in Berlin


Die C/O Galerie in Berlin mit Ausstellungsplakat


(1) Quelle: Ausstellungsbroschüre C/O Berlin
(2) Quelle: Art 12/15
(3) Quelle: Wikipedia

Weiterführende Links:


Sämtliche Fotos: Fred Tille
Obwohl meine Fotos im Rahmen der tagesaktuellen Berichterstattung nur allgemeine Ausstellungsansichten ohne explizite, detaillierte Werkfotos zeigen, bitte ich die Urheberrechte des Künstlers, Anton Corbijn, an seinen Werken zu beachten.